Fressen, fressen, fressen …

Die Pfeifente

Pfeifenten sind Weltrekordler: Unter den 9.000 bekannten Vogelarten der Erde gibt es keine andere, die mehr Zeit für die Nahrungsaufnahme braucht. Pfeifenten fressen im Winter über 15 Stunden am Tag, damit sie ihren Energiebedarf aus wenig nahrhaften Gräsern decken können. Um ihre Körpertemperatur von 40° C aufrecht zu erhalten, müssen Pfeifenten am Tag etwa 300 g Gras fressen - was ungefähr der Hälfte ihres eigenen Körpergewichts entspricht.

Nomaden auf Nahrungssuche: Aus dem Leben der Pfeifente

Der Tag geht und die Enten kommen. Bei dämmrigem Abendlicht fliegen sie auf Weiden und Äcker und fressen Wintersaaten.

Die ausgedehnten Mahlzeiten haben zwei Gründe. Die Hauptnahrung der Pfeifenten sind Gräser. Wegen des hohen Anteils an Zellwandbestandteilen sind Gräser jedoch schlecht verdaulich. Weltweit ernähren sich nur 24 Enten- und Gänsearten hauptsächlich von wenig nahrhaften Gräsern. Sie müssen besonders viel und lange fressen, um ihren Energiebedarf zu decken.

Aus der Geometrie leitet sich die sogenannte „Oberflächen-Volumen-Regel“ ab. Sie besagt, daß kleine Körper eine – im Verhältnis zu ihrem Rauminhalt – besonders große Oberfläche haben. Eine große Oberfläche bedeutet aber auch große Wärmeverluste. Ein Beispiel aus unserem Leben verdeutlicht dies: Kinder kühlen beim Baden schneller aus als Erwachsene. Als eine der kleinsten Entenarten ist die Pfeifente deshalb besonders hungrig und muß viel fressen, um ihren hohen Energiebedarf zu decken.

Ein Leben auf Sparflamme

Pfeifenten laufen auf niedrigen Touren. Etwa drei Watt Energie sind erforderlich, um die „Maschine“ Pfeifente bei 40°C Kerntemperatur am laufen zu halten. Das entspricht dem Zwanzigstel einer normalen Glühbirne. Hierfür müssen Pfeifenten etwa 300 g Gras am Tag fressen, was der Hälfte ihres Körpergewichtes entspricht. Eine derart große Nahrungsmenge können sie nicht allein am Tage sammeln, denn in der Mitte des Winters ist es nur 8 Stunden lang hell.

Nächtliches Sehen

Die Tiere haben sich daher an ein nächtliches Leben angepaßt. Im Gegensatz zu Gänsen können sie auch bei fast völliger Dunkelheit noch sehen. Die Rückseite ihrer Augen ist nämlich mit einer Schicht ausgekleidet, die einfallendes Licht reflektiert, wodurch die davor liegenden Sehnerven zweimal vom Licht getroffen werden. Wie bei Katzen leuchten die Augen der Pfeifente daher in der Nacht, wenn die Tiere von einem Scheinwerfer angestrahlt werden.

Gänse haben keine reflektierende Schicht am Augenhintergrund. Sie können deshalb nur am Tage nach Nahrung suchen. Ihr zeitliches Vorkommen im Wattenmeer richtet sich demzufolge nach der Tageslänge. Ringel- und Nonnengänse verlassen weitgehend das Gebiet, wenn die Tage im Mittwinter für sie zu kurz werden und sie selbst bei ununterbrochener Nahrungsaufnahme während des Tages zu wenig Energie bekommen.

Gefahrlose Nächte

Pfeifenten sind hauptsächlich nachtaktiv. Sie fressen von der Abend- bis zur Morgendämmerung, wobei die Mondphase übrigens keine Rolle spielt. Pfeifenten fressen aber nicht nur nachts, weil sie sonst verhungern würden, sondern sie bevorzugen die Nacht, weil sie dann weniger durch Räuber gefährdet sind. Ihre grasende Ernährungsweise zwingt die Enten nämlich zu vielstündigen Aufenthalten an Land. So richtig wohl fühlen sich die Enten dabei aber nie, denn an Land befinden sie sich ständig in Lebensgefahr: Im Laufe eines Winters werden ein Fünftel der Tiere von Mantelmöwen und Wanderfalken erbeutet! Pfeifenten halten sich daher tagsüber immer in unmittelbarer Nähe von Gewässern auf, zu denen sie innerhalb von Sekunden flüchten können. Durch das Leben in Trupps verringert sich auch das Risiko für das einzelne Tier, erjagt zu werden. In der Nacht können sie hingegen ruhiger leben. Sie fressen dann in kleineren Trupps (im Mittel 100 statt 230 Tiere) und auch in Gebieten, die weit vom Wasser entfernt liegen.

Torte statt Knäckebrot

Pfeifenten müssen aber nicht nur nach Nahrung suchen, sondern auch ihr Gefieder putzen, soziale Kontakte pflegen oder schlafen. Für letzteres bleibt ihnen zeitweise nur eine Stunde am Tag. Dies zeigt, daß Pfeifenten am Rande des energetisch Möglichen leben. Sie sind daher mehr als andere Vögel auf eine besonders effiziente Nahrungsaufnahme angewiesen. Die frisch aufgelaufene Saat von Winterraps und Winterweizen kommt ihnen da gerade recht. Diese Pflanzen sind zwar nicht energiereicher als Salzwiesen- oder Weidegräser, aber wegen der weichen Blätter sehr viel besser verdaulich. Aus Winterweizen gewinnen Pfeifenten 1,6 fach, aus Winterraps sogar 6,4 fach mehr Energie als aus Weidegräsern. Ein Unterschied wie zwischen Knäckebrot und Torte.