Niedersachsen

15.12.2020 |

Aktuelles zum Kitesurfen im Nationalpark

Seit einigen Jahren gibt es im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer speziell ausgewiesene Kitesurf-Zonen. Fachlicher Hintergrund ist, dass von dem Lenkdrachen, der das Kiteboard antreibt, verbunden mit den hohen Geschwindigkeiten und den unvorhersehbar schnellen Wendungen, eine besondere Scheuchwirkung auf wildlebende Tiere ausgeht, insbesondere auf Brut- und Rastvögel.

Das Steigenlassen von Drachen ist deshalb laut Nationalpark-Gesetz (NWattNPG) in der Ruhe- und Zwischenzone grundsätzlich verboten. Um im Sinne des Tourismus die Trendsportart trotzdem zu ermöglichen, ohne die Natur zu gefährden, hat die Nationalparkverwaltung auf Antrag der Gemeinden entsprechende Kitesurfzonen zugelassen. Voraussetzung ist ein ausreichender Abstand zu Brut- und Rastgebieten sowie eine klare Abgrenzung und Kennzeichnung dieser Flächen.

Dieser Kompromiss hat über viele Jahre gut funktioniert. Die Kommunen und Kitesurf-Schulen vor Ort haben darauf geachtet, dass örtliche und zeitliche Regeln von allen Kitern eingehalten werden.

2014 haben gleichwohl Kitesurfer gegen das Land Niedersachsen geklagt, um zu erreichen, dass sie ohne örtliche oder zeitliche Einschränkungen ihrem Hobby im Küstengewässer des Nationalparks nachgehen dürfen. Dabei ging es um die Frage: Kann das Kitesurfen mit einem Drachen speziell geregelt werden oder bleibt es Wasserfahrzeugen wie Segelbooten gleichzusetzen? Und: Ist das Land Niedersachsen überhaupt berechtigt, eine den Wassersport lenkende Regelung zu erlassen, oder steht das als Verkehrsfrage alleine dem Bund zu?

Aus naturschutzfachlicher Sicht (bzw. Sicht der Vögel) ist es ein deutlicher Unterschied, ob der Antrieb durch ein direkt über dem Boot fest angebrachtes Segel oder durch einen Drachen erfolgt. Weil der Drachen an einer langen Leine viele Meter über dem Wasser schwebt und sich schnell bewegt, wird er von Vögeln als Greifvogel wahrgenommen. Und Greifvögel (Fressfeinde) erzeugen den überlebenswichtigen Fluchtreflex.

Aus juristischer Sicht hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht (OVG) nun mit einem am 14.12.2020 bekannt gegebenen Beschluss (Az. 4 LC 291/17) entschieden, dass das im Nationalparkgesetz bestimmte allgemeine Verbot des Drachensteigenlassens nicht auch das Kitesurfen erfasst.

In erster Instanz hatte das Verwaltungsgericht Oldenburg demgegenüber noch festgestellt, dass die landesgesetzliche Vorschrift des § 6 Abs. 2 Nr. 5 NWattNPG keine Befahrensregelung darstellt, sondern ein naturschutzrechtliches Verbot, das sich nur gegen das mit dem Kitesurfen verbundene Drachenfliegenlassen richte. Die jetzige Entscheidung des OVG entzieht den bisherigen Verfahren der Nationalparkverwaltung zur Lenkung des Kitesurfens im Nationalpark die Rechtsgrundlage, entgegen der ausdrücklichen Intention des Landesgesetzgebers. Nach Ansicht des OVG kann das Land Niedersachsen zu Wasserfahrzeugen wie Kiteboards überhaupt keine weitergehenden Schutzbestimmungen treffen. Dies sei allein Sache des Bundes. Die so genannte Befahrensverordnung des Bundes (NPNordSBefV) enthält allerdings bislang keinen speziellen Passus zum Befahren mit Kiteboards. Kitesurfen haben demnach lediglich die allgemeinen, für alle Wasserfahrzeuge geltenden Regelungen zu beachten. Das heißt insbesondere, dass die Ruhezone nur um Hochwasser befahren (und nicht betreten) werden und die in den Seekarten eingezeichneten Robben- und Vogelschutzgebiete zu ihren Schutzzeiten gar nicht befahren werden dürfen. Die schon seit Jahren diskutierte Anpassung der Befahrensverordnung durch den Bund, die auch das besondere Störpotenzial des Kitesurfens berücksichtigt, wird nunmehr umso dringlicher.

Der niedersächsische Umweltminister Olaf Lies hat sich zur Entscheidung des OVG folgendermaßen geäußert:

„Selbstverständlich respektieren wir als Land die obergerichtliche Entscheidung, wir bedauern sie aber. Vor allem, weil dem Bund ein gemeinsamer Novellierungsantrag der Länder Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Hamburg vorliegt. Denn klar ist: Vom Kitesurfen geht ein besonderes Störungspotenzial aus, für Fauna und Flora genauso wie für andere Besucher im Nationalpark. Dieses besondere Störungspotenzial haben wir als Land erkannt und darauf im Interesse des Nationalparks mit einer Verbotsregelung reagiert. Dabei wurden als Ausnahmen einzelne Kitesurfzonen zugelassen, wo keine Störungen zu befürchten waren. Dieser Kompromiss zwischen den Interessen des Wassersports und dem Natur- und Artenschutz hat aus unserer Sicht bislang gut funktioniert. Durch das Urteil hat sich aber eine nicht unerhebliche Schutzlücke insbesondere für Brut- und Rastvögel aufgetan, die wir als Land jetzt nicht mehr länger selbst schließen können. Ich vertraue aber darauf, dass der Bund vernünftige Regeln auf den Weg bringt – im Sinne des Natur- und Artenschutzes.“

Die Entscheidung des OVG beruht auf kompetenzrechtlichen Erwägungen. Die naturschutzfachliche Unterfütterung des Drachenverbotes bestreitet auch das OVG nicht bzw. musste sich dazu nicht äußern.

Mit Rechtskraft der Entscheidung des OVG wird die Nationalparkverwaltung die bisherige Praxis der Einrichtung von Kitesurfzonen nicht mehr fortführen und ihre Informationsmedien entsprechend anpassen.