Was weiß man über den Wal?
Einen gestrandeten Großwal entdeckte am Donnerstag, 20. Februar 2025, gegen 13.30 Uhr ein Helikopter-Pilot beim Überfliegen der Insel Minsener Oog. Anhand der übermittelten Luftaufnahmen konnte das Tier sicher als Kadaver eines Buckelwals identifiziert werden. Ein erstes Bild von der Lage direkt vor Ort haben sich Mitarbeiter der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung (WSA Wilhelmshaven) am 21.2. nachmittags gemacht. Um weitere Informationen über das Tier zu erhalten und eine mögliche Todesursache festzustellen, fuhr am 22.02. ein kleines Team aus Fachleuten der Nationalparkverwaltung, des LAVES (Nds. Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit) und des ITAW (Institut für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung an der Tierärztlichen Hochschule Hannover) mit einem Boot zur Insel aus. Sie haben den Tierkörper näher in Augenschein genommen und Gewebeproben entnommen. Demnach handelte es sich um ein junges Männchen, mit einer Körperlänge von 7,40 m. Ausgewachsen werden Buckelwale bis zu 15 m lang (Weibchen 16 m). Das Tier ist relativ mager, es gibt Hinweise, dass es zuletzt ggf. von seinen Fettreserven gelebt hat. Die pathologischen Befunde deuten darauf hin, dass das Tier verhungert ist. Auch wurden einige Darmparasiten gefunden. Es ist nicht geklärt, ob die Parasiten eine relevante Ursache für den Tod des Tieres sind, ein Einfluss auf den Gesundheitszustand ist aber wahrscheinlich.
Was passierte mit dem Wal?
Meist werden vor der Küste gefundene Walkadaver geborgen und entsorgt, da sie eine Gefahr für die Schifffahrt darstellen können. Dieser Wal lag ortsfest in einer Senke, ein Stück vom Fahrwasser entfernt, die Fluke war leicht eingesandet. Deshalb kam das WSA zu der Einschätzung, dass ein Verdriften durch die normale Tide ist nicht zu erwarten war. Da im Gemäß dem Nationalpark-Motto „Natur Natur sein lassen“ sollte auch aus Sicht der Nationalparkverwaltung der Kadaver grundsätzlich an Ort und Stelle verbleiben. Das Wattenmeer ist ein offenes Ökosystem, zu dem auch strandende Kadaver von Großwalen gehören. Die Kadaver liefern Nahrung für zahlreiche andere Lebewesen, Grundlage für weiteres Leben, und spannende Erkenntnisse für die Forschung.
Hier bot sich die seltene Gelegenheit zu erforschen, was mit solch einem großen Kadaver unter natürlichen Bedingungen geschieht. Dies ist eine bisher einmalige Chance, da diese natürlichen Prozesse für Kadaver dieser Größenordnung in ihrer natürlichen Strandungsstelle bisher nicht dokumentiert wurden.
Die Nationalparkverwaltung installierte eine Überwachungskamera in direkter Nähe zum Wal, um das weitere Geschehen, aber auch den Verwesungsprozess des Kadavers zu dokumentieren.
Durch die Kamera konnte festgestellt werden, dass bei der Mittagsflut am 30. März der Walkadaver leicht (um wenige Meter) in Bewegung geraten war. Die Wetterbedingungen ließen jedoch keine Ausfahrt an dem Tag zu. In der Nacht vom 31. April wurde ein Hochwasser von ca. +90cm über dem normalem Hochwasserstand gemessen (Quelle WSV). In der Folge fiel die Kamera aus. Ein Team der Nationalparkverwaltung ist am 01.04. zu der ehemaligen Strandungsstelle ausgefahren, wo der Wal auch nach einer längeren Suchaktion nicht wieder aufgefunden werden konnte, bis auf drei einzelne Rippen, die im Umkreis verstreut lagen. Die Wasser- und Schiffahrtverwaltung des Bundes (WSV) ist von diesen Entwicklungen unterrichtet. Da der größte Teil des Fleisches bereits abgefressen war und vorrangig die Knochen des Tieres fortgespült wurden, scheint es nach derzeitigem Kenntnisstand wahrscheinlich, dass die Überreste absinken.
Die Nationalparkverwaltung hat am Oberkieferknochen eine Lochplatte installiert, sodass, sollte der Schädel wiederauftauchen, der Kadaver identifiziert werden kann.
Wie wurde der Wal untersucht und welche Ergebnisse liegen bis jetzt vor?
Am 4.3. hatte ein dreiköpfiges Expertenteam der Nationalparkverwaltung den Wal näher untersucht. „Nach knapp zwei Wochen Liegezeit ist der Kadaver auch durch die Sektion bereits stark eingefallen, Möwen und Krähen haben sich bereits intensiv an den Fleischmassen bedient“, berichtete Benedikt Wiggering, Biodiversitäts-Experte bei der Nationalparkverwaltung. „Wir haben eine Kamera installiert, um fortlaufend festzuhalten, welche Vögel von dieser besonderen Nahrungsquelle Gebrauch machen. Darüber hinaus wurden Abstriche im Rachen und Nasenraum des Tieres genommen, im Labor lässt sich auch anhand genetischer Untersuchungen feststellen, welche Kleinstlebewesen wie Pilze und Bakterien daran beteiligt sind, dass der Wal nach und nach verschwindet. So können wir auch einschätzen, welche mikrobielle Biodiversität der Kadaver birgt.“
Durch die Kameraufnahmen konnte beobachtet werden, dass sich sehr stetig zahlreiche Mantelmöwen am Kadaver aufgehalten haben. In kleinerer Anzahl waren auch Rabenkrähen, Silbermöwen und Kolkraben zu beobachten. Es ist gut möglich, dass sich durch die besonderen Bedingungen der Strandungssituation nur diese bestimmten Arten eingefunden haben – an kleineren Kadavern, wie Rehen und Seehunden, die in den Salzwiesen untersucht werden, fanden sich oftmals mehr Arten ein. Eine detaillierte Durchsicht des Aufnahmematerials steht noch aus.
Seit 2022 läuft in 15 der deutschen Nationalparke ein Forschungsprojekt zur Fragestellung, welche Rolle Kadaver in der Natur als ‚Biodiversitäts-Ballungsstellen‘ einnehmen. Im Wattenmeer wurden dafür Totfunde von Rehen und Seehunden im Gelände ausgelegt und die Arten, die sich dafür interessieren, mit verschiedenen Methoden erfasst. Die Nationalparke schützen die natürlich ablaufenden Prozesse, zu denen das Sterben und die Nutzung von Aas essentiell dazugehören. Mit dem Buckelwal ist nun, ungeplant, ein weiteres, besonderes Forschungsobjekt hinzugekommen.
Ist diese Walstrandung etwas Besonderes?
Die gelegentliche Strandung von Großwalen an der Nordseeküste ist seit Jahrhunderten dokumentiert. Vielfach beschrieben sind Pottwale, die auf ihren Wanderungen falsch abbiegen. Im flachen Wasser der Nordseeküste versagen die Orientierungssinne dieser Tiefseebewohner, was dann zur Strandung führt. Buckelwale sind an das Leben in flacheren Meeresgewässern an sich besser angepasst. Im Sommer 2024 war für ein paar Tage ein Buckelwal zu Besuch im Niedersächsischen Wattenmeer, der bestens zurechtkam. So konnte z. B. von Norderney aus das Spektakel eines jagenden und aus dem Wasser „springenden“ Tieres beobachtet werden. Trotzdem kann es passieren, dass auch Buckelwale stranden oder die Körper verendeter Tiere anlanden. Solche Kadaver sind die Nahrungsgrundlage anderer Tiere in der Nordsee und gehören zum Ablauf der natürlichen Prozesse in der natürlichen Dynamik des Wattenmeeres.