Was weiß man über den Wal?
Nähere Angaben zum Wal, auch zur möglichen Todesursache, können erst gemacht werden, wenn das Tier vom Boden aus untersucht wird und Probennahmen ausgewertet sind. Ein erstes Bild von der Lage direkt vor Ort haben sich Mitarbeiter der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung (WSA Wilhelmshaven) am 21.2. nachmittags gemacht.
Ein kleines Team aus Fachleuten der Nationalparkverwaltung, des LAVES (Nds. Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit) und des ITAW (Institut für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung an der Tierärztlichen Hochschule Hannover) sind am 22.2. mit einem Boot zur Insel übergesetzt, haben den Tierkörper näher in Augenschein genommen und Gewebeproben entnommen. Demnach handelt es sich um ein junges Männchen, mit einer Körperlänge von 7,40 m. Ausgewachsen werden Buckelwale bis zu 15 m lang (Weibchen 16 m). Das Tier ist relativ mager, es gibt Hinweise, dass es zuletzt ggf. von seinen Fettreserven gelebt hat. Auch wurden einige Darmparasiten gefunden. Es ist nicht geklärt, ob die Parasiten eine relevante Ursache für den Tod des Tieres sind, ein Einfluss auf den Gesundheitszustand ist aber wahrscheinlich.
Was passiert mit dem Wal?
Meist werden vor der Küste gefundene Walkadaver geborgen und entsorgt, da sie eine Gefahr für die Schifffahrt darstellen können. Laut WSA liegt dieser Kadaver derzeit ortsfest in einer Senke, die Fluke leicht eingesandet, ein Verdriften durch die normale Tide ist nicht zu erwarten. Demnach kann der Wal aktuell vor Ort verbleiben. Nur wenn er durch eine höhere (Sturm)flut wieder ins Fahrwasser gerät, müsste er zur Sicherheit des Schiffsverkehrs geborgen werden.
Im Nationalpark gilt ansonsten: Natur Natur sein lassen! Aus Sicht der Nationalparkverwaltung kann der Kadaver grundsätzlich an Ort und Stelle verbleiben. Das Wattenmeer ist ein offenes Ökosystem, zu dem auch strandende Kadaver von Großwalen dazugehören. Das liefert Nahrung für zahlreiche andere Lebewesen, Grundlage für weiteres Leben und spannende Erkenntnisse für die Forschung.
Hier bietet sich die seltene Gelegenheit, über einen langen Zeitraum zu erforschen, was mit solch einem großen Kadaver unter natürlichen Bedingungen geschieht. Dies ist eine bisher einmalige Chance, da diese natürlichen Prozesse für Kadaver dieser Größenordnung in ihrer natürlichen Strandungsstelle bisher nicht dokumentiert wurden.
Wie wird der Wal untersucht und welche Ergebnisse liegen bis jetzt vor?
Am 4.3. hat ein dreiköpfiges Expertenteam der Nationalparkverwaltung den Wal näher untersucht. „Nach knapp zwei Wochen Liegezeit ist der Kadaver auch durch die Sektion bereits stark eingefallen, Möwen und Krähen haben sich bereits intensiv an den Fleischmassen bedient“, berichtet Benedikt Wiggering, Biodiversitäts-Experte bei der Nationalparkverwaltung. „Wir haben eine Kamera installiert, um fortlaufend festzuhalten, welche Vögel von dieser besonderen Nahrungsquelle Gebrauch machen. Darüber hinaus wurden Abstriche im Rachen und Nasenraum des Tieres genommen, im Labor lässt sich auch anhand genetischer Untersuchungen feststellen, welche Kleinstlebewesen wie Pilze und Bakterien daran beteiligt sind, dass der Wal nach und nachverschwindet. So können wir auch einschätzen, welche mikrobielle Biodiversität der Kadaver birgt.“
Seit 2022 läuft in mehreren deutschen Nationalparken ein Forschungsprojekt zur Fragestellung, welche Rolle Kadaver in der Natur als ‚Biodiversitäts-Ballungsstellen‘ einnehmen. Im Wattenmeer wurden dafür Totfunde von Rehen und Seehunden im Gelände ausgelegt und die Arten, die sich dafür interessieren, mit verschiedenen Methoden erfasst. Die Nationalparke schützen die natürlich ablaufenden Prozesse, zu denen das Sterben und die Nutzung von Aas essentiell dazugehören. Mit dem Buckelwal ist nun, ungeplant, ein weiteres, besonderes Forschungsobjekt hinzugekommen.
Ist diese Walstrandung etwas Besonderes?
Die gelegentliche Strandung von Großwalen an der Nordseeküste ist seit Jahrhunderten dokumentiert. Vielfach beschrieben sind Pottwale, die auf ihren Wanderungen falsch abbiegen. Im flachen Wasser der Nordseeküste versagen die Orientierungssinne dieser Tiefseebewohner, was dann zur Strandung führt. Buckelwale sind an das Leben in flacheren Meeresgewässern an sich besser angepasst. Im Sommer 2024 war für ein paar Tage ein Buckelwal zu Besuch im Niedersächsischen Wattenmeer, der bestens zurechtkam. So konnte z. B. von Norderney aus das Spektakel eines jagenden und aus dem Wasser „springenden“ Tieres beobachtet werden. Trotzdem kann es passieren, dass auch Buckelwale stranden oder die Körper verendeter Tiere anlanden.
Kann man den Wal besichtigen?
Nein. Die Insel Minsener Oog gehört praktisch vollständig zur streng geschützten Ruhezone des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer und darf ganzjährig nicht betreten werden (Ausnahme: kleiner Besuchersektor im Süden der Insel, der im Rahmen geführter Wattwanderungen angesteuert wird). Die Insel ist über das ganze Jahr ein wichtiges Brut- und Rastgebiet für Tausende von Vögeln. Der Walkadaver ist somit nicht zugänglich.
Hinweis: Leider sind gestrandete Pottwale oft das Ziel von „Souvenirjägern“, die illegalerweise die Zähne herausbrechen. Der Buckelwal ist ein Bartenwal. Anders als der Pottwal hat er keine Zähne. Hier ist also nichts zu holen.