Die Nationalparkstiftung Schleswig-Holstein unterstützt die Schutzstation und den Verein Jordsand bei ihrem aktuellen Projekt mit der Uni Hamburg, ein Managementkonzept für Wanderratten auf den Inseln und Halligen im nordfriesischen Wattenmeer zu erarbeiten. Im Interview erzählt Benjamin Gnep, wie die aktuelle Brutsaison läuft und was er über die Regulierung von Prädation im Nationalpark denkt.
Die Schutzstation Wattenmeer gehört zu der Gruppe der Naturschutzverbände, die im Auftrag der Nationalparkverwaltung unter anderem Brutvögel im Nationalpark Wattenmeer kartieren. Die Vogelgrippe und Wanderratten, Steinmarder und Co. haben unseren Brutvögeln in den vergangenen Jahren das Leben schwer gemacht und teils ganze Brutbestände gefährdet. Die von Menschen geschaffenen, künstlichen Strukturen erleichtern den Raubsäugern den Weg auf die Halligen. Wie ist die Brutsaison dieses Jahr gestartet?
Benjamin Gnep: Bis vor Kurzem lief die Saison eigentlich ziemlich erfreulich. Am 9. Juni gab es jedoch leider aufgrund von kräftigen Westwinden hohe Wasserstände und in vielen Gebieten wurden Nester und Küken überspült.
In Bezug auf Ratten sieht es dieses Jahr immerhin deutlich besser aus: Wir untersuchen seit vier Jahren den Schlupferfolg von jährlich mehreren Hundert Nestern auf den drei Halligen Hooge, Langeneß und Oland mit den automatischen Nestkameras. In den letzten drei Jahren hatten wir zum Teil dramatische Verlustraten. Dieses Jahr haben wir Stand heute, Mitte Juni, erst einen Nestverlust durch Wanderratten vor den Nestkameras gehabt. Bei vielen früh brütenden Arten wie Säbelschnäblern haben wir auf den drei Halligen schon viele flügge Küken und der Schlupferfolg ist insgesamt ziemlich hoch. Wir hoffen, dass das aktuell etwas nasskalte Wetter das Wachstum der Küken nicht zu sehr beeinträchtigt und dass wir keine höheren Wasserstände mehr bekommen.
Welche Schwerpunkte legt ihr in eurem Projekt?
Benjamin Gnep: Wir entwickeln zusammen mit dem Verein Jordsand ein Managementkonzept für Wanderratten in den wichtigsten Brutgebieten des Schleswig-Holsteinischen Wattenmeeres. Die Beobachtungen aus den letzten Jahren zeigen eindeutig, dass eine Koexistenz von bedrohten Küstenvögeln und invasiven Wanderratten nicht möglich ist. Leider werden aber fast alle wichtigen Brutgebiete regelmäßig von Wanderratten neu besiedelt und einmal angekommen verschwinden sie selbst auf den Außensänden nicht immer von alleine. Daher evaluieren wir Methoden, wie wir Wanderratten so früh wie möglich entdecken und dann auch aus den Gebieten entnehmen können. Dabei wollen wir tierschutzgerecht und so minimalinvasiv wie möglich arbeiten. Wir setzen daher zum Beispiel keine Giftköder ein, da sie auch andere Tiere gefährden und einen qualvollen Tod für die Wanderratten bedeuten.
Das Ziel ist, dass die entlegenen Außensände und Halligen wie Norderoog, Norderoogsand, Trischen und Japsand dauerhaft frei von Ratten sind. Auf den größeren Halligen wie Hooge und Langeneß ist das vermutlich utopisch, aber der Bestand soll dort so niedrig wie möglich gehalten werden.
Das Motto im Nationalpark lautet „Natur Natur sein lassen“. Ein Management hat lenkenden Einfluss auf die Natur. Wie beurteilst du in diesem Fall das Verhältnis von „ungestörter natürlicher Entwicklung“ zu Artenschutzmaßnahmen zugunsten von Bodenbrütern?
Benjamin Gnep: Auch wenn es auf den ersten Blick so erscheinen mag, ergibt sich hier beim genaueren Hinsehen aus meiner Sicht gar kein Widerspruch. Denn in Einzelfällen kann es zum Schutz besonders gefährdeter, ökosystemtypischer Arten Ausnahmen von dem Nationalpark-Grundsatz „Natur Natur sein lassen“ geben. Da auf den Halligen die besonders gefährdeten Arten Brandseeschwalbe und Zwergseeschwalbe brüten, ist hier ein verantwortungsvolles Handeln im Sinne des Artenschutzes erforderlich.
Man muss zudem in dieser Frage sehr genau unterscheiden zwischen den natürlichen Prozessen, wie sie seit Jahrtausenden im Wattenmeer stattfinden, und vom Menschen eingebrachten Störfaktoren, die von außen in den Nationalpark einwirken. Wanderratten sind in Deutschland gar keine heimische Art sondern kommen ursprünglich aus dem nördlichen Ostasien und sind erst um 1750 über menschliche Handelsrouten nach Mitteleuropa gekommen. Aufgrund ihrer negativen Auswirkungen auf die heimische Tier- und Pflanzenwelt werden sie auch vom Bundesamt für Naturschutz als invasiv eingestuft. Die vielen bekannte „Pestratte“ im Mittelalter war nicht die Wanderratte Rattus norvegicus, sondern die Hausratte Rattus rattus. Dass Wanderratten auf den isoliert im Watt gelegenen Halligen und Außensänden überhaupt vorkommen, wird zudem wohl nur durch die intensive Landwirtschaft und regelrechte Massenpopulationen von Ratten in direkter Nachbarschaft zum Nationalpark ermöglicht.
Ohne menschlichen Einfluss wäre das Wattenmeer also rattenfrei. Die heimischen bodenbrütenden Vogelarten haben im Laufe ihrer Evolution zudem schlicht kein Konzept gegen einen Nesträuber wie die Ratte entwickeln können. Bei Tag sind brütende Seeschwalben ja oft sehr wehrhaft, wenn aber nachts eine Ratte ans Nest kommt, haben sie hingegen keine Chance ihr Nest zu verteidigen und werden im schlimmsten Fall sogar noch selber getötet. Wir versuchen also aus Artenschutzgründen, einen menschlich bedingten Störfaktor wieder aus dem System zu entfernen. Das tun wir so schonend wie möglich.
Vielen Dank für das Gespräch!