Schleswig-Holstein

07.05.2025 |

Über die Alpen und zurück

Im Forschungsprojekt „Unser Wattenmeervogel“ tracken Wissenschaftler*innen seit 2022 Säbelschnäbler. Einer hat nun mithilfe seiner Flugdaten einen ungewöhnlichen Zugweg verraten: Er bevorzugte Italien für seine Überwinterung – und ist nun zurück aus der Lagune von Venedig.

Doktorand Mads Eskildsen staunte vergangenen Herbst nicht schlecht, als einer seiner Schützlinge nicht – wie alle anderen besenderten Säbelschnäbler – den Weg entlang der Nordseeküste nach Frankreich, Spanien oder auch Westafrika für die Überwinterung wählte. Stattdessen zögerte er kurz am Jadebusen, folgte dann lieber der Weser flussaufwärts und schlug nach einigem Hin und Her auf der Höhe von Hannover den direkten Weg nach Süden ein. Über Nürnberg ging es östlich von München und Innsbruck in die Alpen und über sie hinweg.

In sechs Stunden über die Berge

In der Lagune von Venedig scheint das Säbelschnäbler-Männchen einen schönen Winter verbracht zu haben. Zumindest zog es ihn dieses Frühjahr nur einmal kurz in Richtung Gardasee bevor das Tier am 24. März seinen Rückflug über die Alpen antrat und diese nach sechs Stunden Flug hinter sich ließ. Etwas weiter westlich als auf dem Hinflug ging es auf ziemlich gerader Route in die Heimat ans Wattenmeer. Nach einem Zwischenstopp an der Emsmündung scheute der Vogel die Nordseequerung nicht und flog direkt nach Eiderstedt. An der Küste entlang zog es ihn am 3. April nachts bis in den Rickelsbüller Koog, wo die Teammitglieder des Projekts „Unser Wattenmeervogel“ ihn ein Jahr zuvor, am 8. Mai 2024, besendert hatten.

Italien-Ausflüge bisher nicht erfasst

„Mit Sicherheit ist es ungewöhnlich, dass Individuen der Brutpopulation im Wattenmeer vom Ostatlantischen Zugweg abweichen“, sagt Mads Eskildsen. Nur aus den Überwinterungsgebieten entlang des Ostatlantischen Zugwegs werden bisher regelmäßig Zahlen zu den Säbelschnäblern veröffentlicht. Da Italien nicht auf diesem Zugweg liegt, sind hier keine Daten vorhanden. Das Projekt „Life Forestall“ gibt für Italien 7.000 überwinternde Säbelschnäbler an – allerdings bleiben einige im nördlichen Adria-Gebiet auch das gesamte Jahr über und andere, die an der Ostsee brüten, nutzen einen Zugweg, der quasi direkt von der polnischen Küste an die Adria führt, also östlich an den Alpen vorbei. Das bedeutet, dass unklar ist, inwiefern weitere Säbelschnäbler hin und wieder auch vom Wattenmeer nach Italien fliegen.

Wissensdurst noch lange nicht gestillt

Die Vor- und Nachteile jedes Zugwegs sind immer sehr gebietsspezifisch. Mads Eskildsen führt aus: „Nahrungsverfügbarkeit, Störung und Konkurrenz sind hier nur einige Faktoren, die das beeinflussen. Was genau der Grund ist, dass scheinbar einige Individuen die nicht ganz ungefährliche Alpenüberquerung wählen, ist die große Frage.“ Sein Wissensdurst ist jedenfalls noch lange nicht gestillt. Er forscht weiter: „Irgendeinen guten Grund muss es ja wohl geben, sonst würden sie diese strapaziöse Route nicht wählen.“

Fläche mit offenem Wasser und Gras-/Schilf-Beständen.
In der Lagune von Venedig ließ es sich offenbar gut überwintern.

© Mads Eskildsen / FTZ, Uni Kiel

Karte, die zwei recht senkrechte Linien zwischen NOrden (SH und Süden (Mittelmeer) zeigt.
Die rote Linie zeigt den Hinflug des Säbelschnäblers bis nach Venedig, die gelbe den Rückweg.

© BVV - geodaten.bayern.de, HVBG, Esri, TomTom, Garmin, FAO, NOAA, USGS; Earthstar Geographics / FTZ, Uni Kiel

Live dabei:
Online-Tracking der Säbelschnäbler

Wer die Säbelschnäbler des Projekts „Unser Wattenmeervogel“ live verfolgen möchte, kann dies auf der Projekt-Webseite tun. Ein Weibchen und ein Männchen lassen sich hier auf einer Karte täglich verfolgen.

Lenia zurück im Brutgebiet

In seinem Blog schreibt Mads für das Weibchen Lenia: Sie ist am 23. März früh morgens aus ihrem französischen Überwinterungsgebiet gestartet und non-stop bis an die niederländische Küste geflogen. Dort hat sie einen kleinen Zwischenstopp eingelegt, ehe sie den direkten Weg über die offene Nordsee – Helgoland rechts liegen lassend – in ihr vermutliches Brutgebiet Oland eingeschlagen hat. Dort ist sie am 27. März nachmittags eingetroffen.

Defekter Sender bei Gravidus

Beim Männchen Gravidus haben wir hingegen Pech mit dem Sender: Er liefert seit dem Winter keine GPS-Daten mehr. Wir können das Tier also nicht mehr orten. Auf der Karte sieht es so aus, als wäre er immer noch in den Feuchtgebieten bei Lissabon. Da die Datenübertragung der anderen Sensoren über das Handynetz immer noch einwandfrei funktioniert, ist relativ sicher nur die Antenne defekt, so dass keine Verbindung mehr zu den Satelliten aufgebaut werden kann.

Verbindung (Konnektivität) der Stopover-Gebiete untersucht

Wie viele andere Zugvögel brauchen auch Säbelschnäbler nicht nur Brut- und Überwinterungsgebiete, sondern auch Räume, in denen sie rasten und mausern können. Mads Eskildsen, Doktorand am Forschungs- und Technologiezentrum (FTZ) in Büsum an der Uni Kiel untersucht die Konnektivität genau dieser Mauser- und Stopover-Gebiete – also wie die benötigten Feuchtgebiete entlang des Ostatlantischen Zugwegs während des Herbstzugs miteinander verbunden sind. Dazu ist gerade eine erste Publikation erschienen.

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