Biodiversität im Wattenmeer

Das Wattenmeer gilt als einer der weltweiten Hotspots der biologischen Vielfalt – eines der Kriterien für die Anerkennung des Wattenmeeres als UNESCO-Weltnaturerbe im Jahr 2009. Doch was genau ist unter biologischer Vielfalt – in anderen Worten: Biodiversität – zu verstehen?

Biodiversität umfasst mehrere Aspekte:

Im UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer schützen die Nationalparke Arten und ihre genetische Vielfalt, Lebensräume, deren Zusammenhänge und Funktionsfähigkeit. Die im und am Nationalpark lebenden, wirtschaftenden und ihre Freizeit verbringenden Menschen spielen dabei eine wichtige Rolle.

Erklärende Grafik zur Biodiversität = Biologischen Vielfalt mit ihren vier Bereichen.
Vier Aspekte der Biodiversität.

© Essenberger Design

Eine Miesmuschelbank, die zum Teil überschwemmt ist.
Miesmuscheln heften sich mit Klebefäden aneinander und bilden Ketten, Klumpen und ganze Muschelbänke im Wattenmeer.

© Martin Stock / LKN.SH

Gefördert

… durch das Ministerium für Energiewende, Klimaschutz, Umwelt und Natur des Landes Schleswig-Holstein im Rahmen der Umsetzung der Strategie zum Erhalt der biologischen Vielfalt in Schleswig-Holstein – Kurs Natur 2030

Logo des Ministeriums-fuer-Energiewende-Klimaschutz-Umwelt-Natur-SH_4c

Einblick in die Aspekte der Wattenmeer-Biodiversität

  • in kleinste Details und das große Ganze,
  • in Zahlen zur biologischen Vielfalt,
  • in Verhaltensweisen von Tieren, die für die Funktionsfähigkeit der kleinen Wattenmeer-Ökosysteme von Bedeutung sind,
  • in Erstaunliches und Besonderes,
  • in Phänomene und Prozesse.

Die Reise beginnt. Diese Webseite rund um die Biodiversität wächst laufend weiter.

Artenvielfalt und Individuenreichtum:
10 Tausend Arten, 92 Milliarden Wattwürmer

Vom kleinsten Plankton im Wasser und den Lebewesen in den Sandlücken der Wattflächen bis hin zu den Schweinswalen oder Kegelrobben – rund 10.000 Tier- und Pflanzenarten kommen im Wattemeer vor. Verglichen mit anderen Lebensräumen wie den tropischen Korallenriffen oder den Regenwäldern ist diese Zahl gar nicht mal so groß. Aber viele der spezialisierten Arten kommen im Wattenmeer in sehr hoher Individuenzahl vor, was dieses Ökosystem unter anderem so einzigartig macht.

Reich gedeckter Tisch für Vögel

Unvorstellbar hoch ist die Anzahl der Vögel, die sich an und im Wattenmeer aufhalten. Rechnet man auch Singvögel und andere Artengruppen hinzu, so sind etwa 400 Vogelarten aus den unterschiedlichsten Artengruppen im Wattenmeer anzutreffen, einige ganzjährig, einige nur zur Brutzeit, wieder andere nur in den Zugzeiten im Herbst und Frühjahr. Hiervon sind es bis zu 100 Arten der Wattenmeer-typischen Brut- und Rastvögel. Für einen Teil von ihnen haben die Wattenmeer-Anrainerstaaten eine besondere Verantwortung, denn diese Arten halten sich hier regelmäßig, in hoher Anzahl und mit einem großen Anteil ihres gesamten Bestands auf. In den Hauptzugzeiten im Frühjahr und Herbst halten sich dann rund 6 Millionen Vögel hier gleichzeitig hier auf, im gesamten Jahresverlauf sind es bis zu 10 Millionen.

Darunter sind Nahrungsspezialisten, aber auch „allrounder“. Allen gemeinsam ist, dass der reich gedeckte Tisch dafür sorgt, dass sie im Wattenmeer ihre Fettreserven auffüllen können. Brutvögel finden günstige Bereiche zur Jungenaufzucht wie passende Nistmöglichkeiten, geringe Störungen und Nahrungsreichtum.

Einige Vogelarten ernähren sich auch von Wattwürmern. Eine Hochrechnung für das deutsch-dänisch-niederländische Wattenmeer ergab bei durchschnittlich 20 erwachsenen Wattwürmern pro Quadratmeter Wattboden eine Gesamtzahl von unvorstellbaren rund 92 Milliarden Wattwürmern (REISE, K. (2021): DAS WATT – erlebt, erforscht, erzählt – Wunderwelt zwischen Land und Meer. KJM Buchverlag (1. Auflage S. 90)). Sie haben eine wichtige Bedeutung im Nahrungsnetz des Wattenmeeres, denn sie sind Beute unter anderen auch von Krebstieren und verschiedenen Fischarten.

Unterwasser-Kinderstube für Fische

Rund 100 Fischarten kommen im Wattenmeer vor, viele von ihnen wachsen im Wattenmeer auf und bilden die Nahrungsgrundlage für andere Fische, verschiedene Seevogelarten, oder Meeressäugetiere wie Seehunde, Kegelrobben und Schweinswale. Für eine Reihe von kommerziell genutzten Fischarten, unter anderem Scholle, Seezunge und Hering gehört das Wattenmeer zu den bedeutendsten Kinderstuben und Aufwuchsgebieten des Nordostatlantiks. Etwa 80 % des Schollenbestandes wächst im europäischen Wattenmeer heran, davon lebt etwa ein Drittel bis zum Alter von einem Jahr im Schleswig-Holsteinischen Wattenmeer.

Reich der Spezialisten

Etwa 1.000 Pflanzenarten kommen im Wattenmeer vor. Sie sind Spezialisten, die sich unter anderem an den wechselnden Salzgehalt, Überflutungen und Temperaturunterschiede anpassen müssen. Von den Seegräsern bis hin zum Strandflieder in den Salzwiesen bieten sie wiederum Nahrung und Lebensraum für große Vögel bis zu kleinsten Wattschnecken oder Insekten.

Vogelschwarm in Westerhever

© Stock / LKN.SH

Säbelschnäbler

© Stock / LKN.SH

Unzählige Sandwurmhäufchen auf einer schier endlosen Ebene.
Im Durchschnitt leben 20 erwachsene Wattwürmer pro Quadratmeter im Wattenmeer.

© Martin Stock / LKN.SH

Seeschwalben wie diese Küstenseeschwalbe profitieren von den vielen Jungfischen im Wattenmeer.

© Christian Wiedemann / LKN.SH

Vielfalt der Ökosystem(e) und Lebensräume:
alles hängt zusammen

Ebbe und Flut, ein hoher Salzgehalt, teilweise extreme Temperaturunterschiede, Wind, wechselnde Strömungen, Wellenschlag und unterschiedliche Untergründe aus Sand oder Schlick kennzeichnen die Lebensbedingungen im Wattenmeer. Diese Faktoren beeinflussen die Ausprägung der einzelnen Lebensräume und ihre Tier- und Pflanzenwelt sowie deren Wechselbeziehungen untereinander. Damit bestimmen sie auch die Produktivität des gesamten Wattenmeeres.

Die Lebensräume des Wattenmeeres sind

sowie am im Grenzbereich zum Nationalpark Wattenmeer auch der Kulturraum, also beispielsweise die landwirtschaftlichen Flächen.

Das Meer mit seinen regelmäßigen Gezeiten verbindet diese Lebensräume miteinander, ermöglicht Wanderungen und Larvendrift und sorgt so für einen Austausch von Arten. Gleichzeitig werden Nähr- aber auch Schadstoffe transportiert. Die Vernetzung dieser Lebensräume ist ein wichtiger Aspekt, um die Funktionsfähigkeit der Ökosysteme zu erhalten.

Brandung

© Adam Schnabler / LKN.SH

Luftbild aus dem Flugzeug von einer Salzwiese, in die unzählige Prielarme und -Verästelungen hineinragen.
Seegraswiesen kommen im Wattenmeer heutzutage vor allem im trockenfallenden Bereich vor.

© Martin Stock / LKN.SH

In den Salzwiesen

… erfordern die extremen Lebensbedingungen, wie Überflutungen, wechselnde Salzgehalte und Wellenschlag, besondere Anpassungsmechanismen der Pflanzen:

Genetische Vielfalt:
kleinste Erbinformationen bestimmen die große Vielfalt

Die genetische Vielfalt der Biodiversität beschreibt nicht die verschiedenen Arten, sondern die unterschiedlichen Erbinformationen (Gene) der Tiere und Pflanzen innerhalb der Arten. So können unterschiedliche Ausprägungen der Gene zu verschiedenen Erscheinungsformen eines Merkmals führen (zum Beispiel Gefieder- oder Fellfarbe). Erst durch die genetische Vielfalt ist es den Arten überhaupt möglich, sich an veränderte Umweltbedingungen anzupassen. Die Gene derjenigen Tiere und Pflanzen, die am besten an ihre Umwelt angepasst sind, setzen sich in ihrer jeweiligen Nische durch bzw. sind besser an die hier typischen Standorteigenschaften angepasst.

Schutz von Wanderrouten

Und für die Fortpflanzung ausreichend große Bestände oder/und die Einwanderung von Individuen der gleichen Art gewährleisten einen großen Genpool, damit sich gesunde Bestände entwickeln können. Der Schutz von Wanderrouten ist ein Aspekt, um die genetische Vielfalt zu erhalten, beispielsweise indem wichtige Watteinstromgebiete nicht verbaut werden oder der ungehinderte Wassereinstrom (Wasseraustausch) in Salzwiesen ermöglicht wird.

Neue Arten im Wattenmeer

Darüber hinaus wandern im Wattenmeer durch die Meeresströmungen und Gezeiten auch neue Arten ein, beispielsweise weil sie sich mit der Temperaturerhöhung des Meerwassers (Klimawandel) weiter nach Norden ausbreiten. Oder weil sie Nahrungstieren folgen, die hierherziehen. Aber auch durch den Menschen werden Arten eingeführt, beabsichtigt oder unbeabsichtigt beispielsweise im Ballastwasser oder am Rumpf von Schiffen. Die Auswirkungen auf die heimische Tier- und Pflanzenwelt sind Gegenstand zahlreicher Forschungsprojekte.

Aufmerksame Kegelrobbe in der Brandung.
Kegelrobben wandern regelmäßig zwischen den britischen Inseln und dem Wattenmeer beziehungsweise Helgoland.

© Martin Stock / LKN.SH

Die Meeräsche gehört zu den Arten, die infolge der Meereserwärmung weiter nach Norden wandern und damit die ursprüngliche Zusammensetzung der Lebensgemeinschaften verändern.

© Kinzer

Mehr zu Schutz und Gefährdung der Biodiversität