Mit einem Seebären verbindet man oft einen alten Mann mit viel Erfahrung, was das Meer angeht. Seefahrer ist Jürgen Dreckschmidt zwar nicht, aber mit etwas über siebzig und nunmehr dem sechsten Einsatz als Freiwilliger im Nationalpark Wattenmeer auf der Insel Langeoog ist er ein Ehrenamtler mit viel Erfahrung, Kenntnissen und Fertigkeiten. Für jeweils zweieinhalb Monate unterstützt er jedes Jahr seit 2019 den Ranger auf der Insel, erst Jochen Runar, nun Florian Lemke. Ich dagegen bin das begleitende Greenhorn. Im Laufe der Jahre habe ich trotzdem einiges über das Ehrenamt gelernt.
Alles fängt mit Kopfsalat an: Man muss eine Menge Begriffe regelrecht (auswendig) lernen. Wie lange hat das gedauert, bis wir die Abkürzungen NLWKN* oder OOWV* ohne Stottern entschlüsseln – und vor allem auch zuordnen – konnten! Behördliche Zuständigkeiten für Naturschutz, Küstenschutz, Trinkwasserschutz …, alles nicht so einfach. Und dann die feinen Unterschiede zwischen Naturschutzgebiet, Nationalpark, Biosphärenreservat, Ruhezone, Schutzzone, Erholungszone, Brutgebiet, Jagdgebiet … Wo fängt was an, wo hört es auf und wer ist für was zuständig? Hinzu kommt dann die Vielzahl– inzwischen schon vertrauter – Fachbegriffe wie Limikolen, invasive Arten, Prädatoren oder Opfersand.
Ehrenamt im Nationalpark Wattenmeer verlangt mindestens drei Sachen ab:
Lernbereitschaft, Freude an Kommunikation und eine gewisse körperliche Fitness.
Zur Lernbereitschaft habe ich bereits ein paar Beispiele genannt. Die Basics muss man sich aneignen, und dabei ist der Ranger Gold wert. Auf einer Art „Dienstbesprechung“ kann alles geklärt werden, was man als Ehrenamtler noch nicht weiß. Fragen von Inselgästen können dann von Mal zu Mal immer besser beantwortet werden. Natürlich kommen wir immer auch an unsere Grenzen. Zum Beispiel, wenn ein Besucher einen Skelettschädel zu uns ans Vogelwärterhaus bringt und nach dem zugehörigen Tier fragt. Keine Ahnung. Wir kennen ja nicht alle Fischköppe (wenn es sich bei dem Schädel überhaupt um einen Fisch handelt). In dem Fall ist Ehrlichkeit angesagt und die Antwort heißt: „Ich weiß es nicht, aber ich könnte den Ranger fragen.“
Auch eine andere Regel für die Kommunikation hat sich bewährt: erst nachfragen, dann zuhören und dann ggf. beraten. Aus Fehlern wird man klug. Am Anfang ist ein Ehrenamtler naturgemäß übermotiviert, will alles richtig machen, Regeln umsetzen und entsprechend handeln und kann dabei so richtig ins Fettnäpfchen treten. Ein Beispiel aus dem ersten Ehrenamtsjahr: Von der Schutzhütte am Flinthörn aus sehen wir einen Mann mit Hund (!) durch die Dünen spazieren gehen. Genau daher, wo es verboten ist. Pflichtgemäß ruft der Ehrenamtler den „Täter“ unwillig, streng und gestikulierend aus den Dünen. Aber was mussten wir lernen: Es gibt Menschen, die daher gehen DÜRFEN und sogar müssen, um z.B. verirrte Seehunde aufzuspüren. Da heißt es nur, kleine Brötchen backen und sich entschuldigen.
Auch in diesem Jahr klingelten beim ehrenamtlichen Einsatz die Alarmglocken. Ein Filmteam war auf der Insel, um einen Ostfriesenkrimi zu drehen. Und tatsächlich steht da plötzlich ein Mann mit Gewehr im geschützten Gelände. Der Mörder? Der Verfolger? Dürfen Leute vom Fernsehen einfach in den Dünen rumtrampeln? Aber aus Erfahrung wird man klug, also erst einmal nachfragen, denn auch beim Vogelwärterhaus taten sich merkwürdige Dinge: Ein Fremder sitzt in „unserem“ Büro, umgeben von Apparaten und Kabeln. Ein rotes, rundes Zeichen vor der Salzwiese sieht aus wie ein Landeplatz für Minihubschrauber. Mit höflicher Ansprache klärt sich dann alles auf: Die Leute dürfen das. Sie sind nicht vom Fernsehen, sondern von einem Gutachten-Büro für ökologische Bestandsaufnahmen. Mit Drohne und – ähm, ja, auch ein Gewehr gehört nun mal zu dem Beruf dazu – ermitteln sie den Bestand an Prädatoren, also Beutegreifern, die für Vogelbestände eine Bedrohung darstellen können. Ratten, Igel und verwilderte Katzen gehören dazu. Das Igelproblem gibt es kaum noch, weil die Stacheltierchen regelmäßig eingesammelt und ans Festland „umgezogen“ werden. Bei den verwilderten Katzen handelt es sich aber nicht um süße Schmusekätzchen, sondern um Tiere, die nicht mehr domestizierbar wären.
Für ehrenamtliche Mitarbeiter ist die Kommunikation mit allen möglichen Professionellen im Küsten- und Naturschutz wichtig und außerordentlich informativ. Im Austausch zu stehen, fördert und erleichtert die Arbeit auf allen Seiten. Wir haben viel gelernt in Gesprächen mit dem Leiter des NLWKN, mit einem Jäger von der Insel oder mit dem Viehhirten, der gar nicht mehr Viehhirte, sondern Fachkraft für Weidemanagement und Artenvielfalt heißt. Eigentlich ist er für die Hochlandrinder und für die Bisame an den Deichen zuständig, aber auch für uns hatte er immer ein offenes Ohr. Auch für mich als Greenhorn, als ich ihm vom Pfählesetzen in der Nähe von Feuchtwiesen erzähle. Dass ich mit dem Spaten gegraben hatte wie wild, aber die Schlammbrühe immer wieder ins Loch zurücklief. „Wenn´s Wasser kommt, kannste dir die Anstrengung sparen. Ohne Pumpe geht da nichts.“ Hätte ich mal besser vorher gefragt.
Durch all diese Begegnungen und Gespräche gibt es einen ständigen, informellen Fortbildungsprozess, und durch den Einsatz über mehrere Jahre lernt man die Insel immer besser kennen. Wenn der erste Löffler zu sehen ist – in diesem Jahr am 14. Februar -, dann wissen wir: Bald kommen die anderen nach. Wenige Tage später dann die große Freude: Zwei Löffler-Kolonien haben sich am Watt beim Vogelwärterhaus niedergelassen. Auch die Insulaner lernt man immer besser kennen. Es entstehen sogar Freundschaften. Und es gibt Überraschungen: Mancher Insulaner war nach eigener Aussage „schon zwei Jahre nicht mehr am Strand“. Das Meer kann so selbstverständlich werden wie der Harz für die Harzer oder der Rhein für die Rheinländer. Dann kann es schwierig sein, über Naturschutz zu sprechen. Und manchmal muss man einfach nur runterschlucken, wenn ein Einheimischer mit freilaufendem Hund in den Dünen ruft: „Wir sind schon seit 100 Jahren auf der Insel. Wir wissen, was wir tun.“
Also: Freiwillige Rangerunterstützer müssen ständig lernen und möglichst achtsam kommunizieren und beraten. Bleibt noch die körperliche Fitness. Auf einer autofreien Insel bewegen einen nur die Füße oder das Fahrrad. Bei häufigeren Einsätzen am Ostende geht es nur noch mit dem Fahrrad. Der Seebär ist gegen Wind und Wetter gefeit und kann mit vollbepacktem Rad – mit Spaten, Mottek, Greifer, Drahtrolle und Packtaschen voller Werkzeugen – dem Gegenwind auf der Insel trotzen – und das ohne Motor. Ich Greenhorn fahre lieber im Windschatten hinterher. Es ist schließlich Januar und Februar. Und selbst Mitte März ist in diesem Jahr noch Langeunterhosen-Wetter. Immerhin kann ich inzwischen super gut tiefe Löcher für die Wegepfähle graben, die Pfähle mit einem Pfeifen auf den Lippen durch die Gegend tragen, Erde anstampfen für die Stabilität und das Loch wieder adrett verschließen. Dann kommt der Seebär mit Drahtrolle und Monierzange (wieder was gelernt!) und spannt fachmännisch die Drähte. Rund vierzig Pfähle haben wir diesmal geschafft. Die Wegführung ist wieder klar ersichtlich, Winterschäden sind behoben. Bald werden auch wieder Schilder aufgestellt und Sandberge abgetragen, was dringend nötig ist. Denn der Zugang zum Weg am Ostende („Jochens Patt“) ist genauso vom Winde verweht wie der Zugang zum Flinthörnpatt. Man kann es den Besuchern nicht verdenken, wenn sie aus Versehen in die Ruhezonen gelangen. Ein netter Hinweis, eine Beratung, ein bestürztes „ach du jeh, das wusste ich gar nicht“, und schon ist die Welt wieder in Ordnung. Was auf jeden Fall bei der Ansprache hilft, ist die Kluft, sprich: die Jacke mit dem Nationalpark-Logo. Damit ist von vorneherein ausgeschlossen, dass es sich bei dem Ehrenamtler um einen selbsternannten Besserwisser handelt. Die braucht und will keiner haben. Und die wollen wir nicht sein. Die Erkennbarkeit der Funktion erleichtert aber in jedem Fall die Arbeit und verhindert Missverständnisse.
Die meisten Leute kommen nach Langeoog wegen der schönen Natur, wegen der Stille, wegen der beeindruckenden Vogelwelt. Das war auch in diesem Jahr wieder unsere Erfahrung. Die meisten Leute sind interessiert und wollen mehr über Flora und Fauna erfahren. Wir freuen uns, wenn wir dabei weiterhelfen können. Manch einer hat auch Mitleid mit uns: „Müssen Sie etwa noch an dem ganzen Flinthörnweg die Büsche schneiden?“, fragte einmal ein Ehepaar. Da lacht das Herz des Ehrenamtlers mit der Astschere in den Händen. „Wir müssen nicht, wir wollen“, ist die Antwort. „Und alle Arbeit, die du freiwillig und aus Überzeugung tust, fällt dir leicht.“
Nach dem Einsatz in diesem Jahr ist uns klar: Im nächsten Jahr geht es weiter. Und ich Greenhorn beantrage hiermit jetzt auch eine Jacke!“
*NLWKN: Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz
*OOWV: Oldenburgisch Ostfriesischer Wasserverband