Schleswig-Holstein

15.04.2013 |

April 2013

Moin. Jetzt, im April, kann man wieder große Knutt-Schwärme beobachten. Weit draußen im nordfriesischen Watt, bei den Halligen und Inseln. Sie fressen harte Schalen mit weichen Kernen, Slow Food. Das Dithmarscher Watt hütet derweil seinen Fast-Food-Schatz für Afrosibirier. Bleiben Sie uns gewogen. Ihre Nationalparkverwaltung

Dithmarschens Geheimnis

Gregor Scheiffarth (48) hat die Stelle des „Watt-Ökologen“ in der niedersächsischen Nationalparkverwaltung. Seit 1988 ist er im Watt unterwegs. Auf der niedersächsischen Insel Mellum war er als Diplomand und Zivi nur von Vögeln umgeben. In List auf Sylt erforschte er die Rastplatzökologie von Pfuhlschnepfen für seine Doktorarbeit. Seitdem untersucht er das komplexe Nahrungssystem im Wattenmeer. Dabei unterstützte er Jutta Leyrer bei ihrer Knutt-Forschung im Watt Dithmarschens und Nordfrieslands.

„Knutts sind, neben dem Austernfischer, die am besten erforschten Wattenmeer-Vögel. Sie zu untersuchen ist nicht leicht, denn in großer Zahl halten sie sich nur auf dem Frühjahrs- und Herbstzug bei uns auf. Die scheuen Vögel, mitunter große Trupps von Zehntausenden, sieht man oft nur aus großer Entfernung. In mehreren Unterarten und Populationen brüten sie in der Hocharktis rund um den Polarkreis. Zwei getrennt lebende Populationen ziehen durch das Wattenmeer: 400.000 afrosibirische Knutts brüten auf der russischen Taimyr-Halbinsel und überwintern in Mauretanien; 450.000 Knutts brüten in Nordost-Kanada und auf Grönland, was auch als Nearktis bezeichnet wird. Sie überwintern in Mitteleuropa, hauptsächlich in Großbritannien und den Niederlanden. Das ist seit Jahren bekannt, weil Tausende Knutts beringt und ihre Aufenthaltsorte und Zugwege so erkennbar wurden.

Die Nahrungsökologie des Knutts im schleswig-holsteinischen Wattenmeer untersuchte Jutta Leyrer, die darüber am NIOZ, dem niederländischen Meeresforschungsinstitut, ihre Doktorarbeit schrieb. Die mit dem NIOZ-eigenen, trockenfallenden Watt-Forschungsschiff Navicula in vier Frühjahren erfolgten Untersuchungen erbrachten überraschende Kenntnisse: Die große Menge nearktischer Knutts kommt im März ins schleswig-holsteinische Wattenmeer. Sie bleiben zwei Monate und halten sich fast ausschließlich in Nordfriesland auf, vor allem zwischen den Halligen und den Außensänden, sind aber auch im Königshafen und an anderen Orten gut zu beobachten. Die afrosibirischen Knutts kommen dagegen erst Anfang Mai und halten sich dann fast ausschließlich im Dithmarscher Watt auf, das sie bereits nach einem Monat wieder verlassen.

Weil wir vermuteten, dass das unterschiedliche Nahrungsangebot die unterschiedliche zeitliche und räumliche Verteilung der beiden Populationen regelt, haben wir das Vorkommen und die Qualität der Nahrungstiere sehr aufwändig bestimmt. Auf 115 km² wurden 2.900 Proben der Bodenfauna genommen und die drei Hauptbeutearten des Knutts untersucht. Dazu wurden alle Herzmuscheln, Baltische Tellmuscheln und Wattschnecken ausgezählt, ihr Gewicht, der Fleischgehalt, die Schalendicke und weitere Kennwerte ermittelt.

Das Ergebnis hat allen Erwartungen widersprochen: In Nordfriesland gibt es mit rund 11.000 Beutetieren pro Quadratmeter etwa 5-fach mehr Beutetiere als in Dithmarschen und ihr Fleischgehalt ist insgesamt etwa 4-fach höher. Während in Nordfriesland fast ausschließlich Wattschnecken vorkommen und gefressen werden, bevorzugen die Dithmarscher Knutts die in viel geringerer Dichte vorhandenen Baltischen Tellmuscheln. Obwohl das Nahrungsangebot in Dithmarschen wesentlich niedriger ist, gibt es dort viel hochwertigere Nahrung!

Knutts schlucken bis zu zwei Zentimeter große Muscheln und Schnecken komplett herunter und zermahlen sie im Magen. Nicht einzeln, sondern wie jemand, der in seiner Hand zwei Walnüsse gegeneinanderdrückt. Das geht viel leichter. Allerdings sind Beutetiere mit einem hohen Schalenanteil von Nachteil. Das Knacken der Schalen kostet Energie, Magen und Darm müssen mehr arbeiten und das kleine Darmvolumen wird mit unbrauchbaren Nahrungsbestandteilen gefüllt. Bei dünnschaliger Nahrung passt dagegen sehr viel mehr in den Magen hinein und lässt sich leichter aufschließen. Dieser Sachverhalt wurde aufwändig quantifiziert. Im Watt, in Volieren und im Labor wurden Pick- und Schluckraten ermittelt, ebenso die Häufigkeit der Kotabgabe und der Inhalt des Kotes. Mit all diesen Parametern konnte die tägliche Gewichtszunahme eines Knutts berechnet werden. 1,2 g sind es in Nordfriesland, 3,7 g in Dithmarschen. Um ihr Gewicht vor dem Weiterflug in ihre 4.000 Kilometer entfernten Brutgebiete zu verdoppeln, benötigen Knutts in Dithmarschen nach dieser Kalkulation 27 Tage, in Nordfriesland aber 83 Tage.

Es stellte sich die Frage, warum nicht auch die nearktischen Knutts Dithmarschens Fast Food nutzen. Das liegt an der Biologie der Baltischen Tellmuschel. Um sich vor Frost zu schützen, kriecht sie im Winter tiefer in den Wattboden. Mit ihren kurzen Schnäbeln können die im März eintreffenden nearktischen Knutts sie dann nicht erreichen. Erst im Mai, wenn es wärmer ist, ist die Tellmuschel wieder im Fresshorizont des Knutts, dann haben sich die nearktischen Knutts aber bereits für das üppige und auch im zeitigen Frühjahr erreichbare Nahrungsangebot in Nordfriesland entschieden.

Die Baltische Tellmuschel siedelt bevorzugt in Wattgebieten mit feinen, aber nicht schlickigen Sedimenten, wie sie vor allem in Dithmarschen vorkommen. In Nordfriesland gibt es auf den Ostseiten der Außensände und Inseln zwar Wattflächen mit vergleichbarer Wind- und Wellenexposition, durch den Westwind-beförderten Flugsandeintrag haben sie aber gröbere Sedimente.

Die afrosibirischen Knutts müssen auf ihrem 8.000 Kilometer weiten Weg von der Banc d’Arguin in Mauretanien an die sibirische Eismeerküste in einem Top-Gebiet auf halber Strecke Kräfte sammeln und ihr Gewicht vor dem Non-Stopp-Weiterflug erneut verdoppeln. Mit seinem Nahrungsreichtum, seiner Abgeschiedenheit und dem geringen Feinddruck kommt dafür einzig das Wattenmeer in Frage. Das nördliche schleswig-holsteinische Wattenmeer ist für die Knutts besonders vorteilhaft, weil es 300 Kilometer dichter am Ziel ist als das niederländische Watt.Sie sparen so 8 % des Weges zur Taimyr-Halbinsel. Vielleicht können sie hier auch die Großwetterlage besser abschätzen, denn sie erreichen das ferne Ziel nur in fittem Zustand, wenn sie Luftschichten nutzen, die ihnen Rückenwind geben.

Wir wussten, dass das Zug-System des Knutts sehr fein austariert ist, trotzdem haben uns die hohe Attraktivität des Dithmarscher Watts und die starke Konzentration im Mai überrascht. Würden die Vögel nach Nordfriesland fliegen, würden sie eine erfolgreiche Brut in Sibirien nicht schaffen.

Die Untersuchung ist ein gutes Beispiel dafür, dass die Wattflächen zwischen Esbjerg und Den Helder zwar recht gleichartig anmuten, im Ökosystem aber völlig unterschiedliche, nicht austauschbare Spezifika und Funktionen haben.

Bei Managemententscheidungen ist dies zu berücksichtigen. In der Beziehung Sediment – Bodenfauna – Vogel gibt es einen Kaskadeneffekt. Würden sich die Gestalt des Dithmarscher Watts oder seine Strömungsverhältnisse ändern und die Siedlungsflächen der Tellmuschel entfallen, wirkte das sofort auf die Knutt-Population in Westafrika und Nordsibirien. Es zeigt, wie sensibel man mit einem solchen Gebiet umgehen muss – und wie kurz der Weg von der Grundlagenforschung zu naturschutzrelevanten Fragestellungen sein kann.

Wenn die offenen Watten der inneren Deutschen Bucht nicht mehr mit dem Meeresspiegelstieg mithalten können und mehr Energie im Wasser ist, hat das Auswirkungen auf die Nahrungsgrundlage der Vögel. Karsten Laursen, ein dänischer Wissenschaftler, hat bei der Analyse der internationalen Wat- und Wasservogelzählungen festgestellt, dass abnehmende Rastvogelzahlen fast ausschließlich in der inneren Deutschen Bucht beobachtet werden, zwischen Weser und Eider. Dort gibt es großen Tidenhub und es ist viel Energie im Wasser. Irgendwas passiert dort – und wir müssen ein Management hinbekommen, das Sedimentationsgebiete erhält.“

STopP

„Vom Sediment zum TopPrädator“ heißt das vom Bundesforschungsministerium (BMBF) jetzt bewilligte Vorhaben, das nicht nur Kai Eskildsen glücklich macht. Der Ökologe in der Nationalparkverwaltung ist ein wenig stolz, dass das von der Arbeitsgruppe um Stefan Garthe, dem Chefornithologen des Forschungs- und Technologiezentrums Büsum (FTZ), und ihm initiierte Forschungsvorhaben zu den fünf der 38 Projekte gehört, die vom BMBF zur Erforschung von Nord- und Ostsee auserwählt wurden. Ihre große Forschungsfrage: Kann man über die Verteilung und Zusammensetzung des Sedimentes und der in ihm lebenden Tiere Rückschlüsse auf die Qualität dieser Gebiete für Vögel ziehen? In dem in der Abbildung dargestellten Untersuchungsraum soll das Sediment mit hydroakustischen Methoden und durch klassische Bodenproben analysiert werden. Die Aufenthaltsorte von Austernfischern, Möwen, Säbelschnäblern, Löfflern oder anderen Arten werden durch Telemetrie ermittelt. Bis zur abschließenden Synthese sollen zudem hydrodynamische Verhältnisse simuliert und funktionale Modelle erstellt werden.

An dem Vorhaben beteiligen sich die Wattenmeerstation des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI), das FTZ, das Institut für Geowissenschaften der Christian-Albrechts-Universität Kiel sowie das Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume und die Nationalparkverwaltung im Landesbetrieb für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz. Die Gesamtkosten von 1,2 Millionen Euro des vom 1.4.2013 bis 31.3.2016 laufenden Vorhabens trägt das BMBF. Kommunen und in der Region tätige Naturschutzverbände wurden informiert.

Flottes Dreirad

Irgendwann ist Sommer. Man möchte raus, ans Wasser, Muscheln sammeln, Sand spüren, Möwen schreien hören. Damit auch Gäste mit Mobilitätseinschränkungen dies erleben können, gibt es den Tiralo, ein flottes Dreirad. Zwei menschliche „Zugpferde“ ziehen ihre Wattfreunde damit über den Strand oder ins Watt. Der Tiralo wurde für den Gebrauch in der Brandung der französischen Atlantikküste konstruiert und wird von behinderten Beschäftigten hergestellt. Er kann sogar schwimmen.

Einen Tiralo kann man beim Erlebnisfeld und Beherbergungsangebot Mars-Skipper-Hof bei Tönning mieten (04861 617480, 5 €/Stunde). Die Kurverwaltung Nordstrand verleiht bis zu 5 Tiralos an Gruppen (04842 454; 10 €/Tag). Die Tourist-Info in Büsum bietet zwei Strandrollis an, die mit ihren Ballonreifen an herkömmliche Rollstühle erinnern (1,50 €/Stunde).

Die Nationalpark-Watt- und -Gästeführer haben sich bei einer Fortbildung damit beschäftigt, wie Menschen mit Einschränkungen das Watt erleben können. Sie lernten den Umgang mit ihnen und probierten die an der Küste zum Verleih bereitstehenden Wattrollstühle aus.

Amelie Berg

Partner Polizei

Eigentlich wollte die Wasserschutzpolizei ein ganz normaler Nationalpark-Partner werden, so wie es rund 130 regionale touristische Unternehmen bereits sind. Nun ist die Polizei zwar äußerst vielseitig, im Kern aber kein Tourismusunternehmen, weshalb die Partner-Kriterien nicht recht passten. Um die langjährige partnerschaftliche Zusammenarbeit dennoch sichtbar zu machen und zu festigen, wurde eine Nationalpark-Vereinbarung geschlossen. „Damit bekräftigen wir die gemeinsame Verantwortung für den Nationalpark und das Weltnaturerbe Wattenmeer, die schon seit langem auf einer guten Kooperation beruht“, erklärte Detlef Hansen, der Leiter der Nationalparkverwaltung. Die Vereinbarung trägt dazu bei, das Bewusstsein für die Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit des weltweit einzigartigen Wattenmeeres bei den Nutzern zu stärken. Die Mitarbeiter der Wasserschutzpolizei Husum beteiligen sich an Schulungsveranstaltungen zum Thema Nationalpark, besonders für die Nationalpark-Partner und die jungen Menschen des Bundesfreiwilligendienstes und des Freiwilligen Ökologischen Jahres, die alljährlich unverzichtbare Arbeit im Schutzgebiet leisten. Gleichzeitig unterstützt die Nationalparkverwaltung die Wasserschutzpolizei bei öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen mit Informationen über den Nationalpark und das Weltnaturerbe.

Ingo Berger, der Leiter der Wasserschutzpolizei Husum, weist darauf hin, dass mit der Kooperation auch das Verfahren bei Rechtsverletzungen und Störungen im Nationalpark Wattenmeer weiter verbessert wird: „Wir setzen primär auf Aufklärung und Überzeugung, fordern aber gleichzeitig auch, dass die rechtlichen Bestimmungen zu den Themen Natur, Umwelt, Fischerei und Schifffahrt eingehalten werden, damit das Schutzgebiet in seiner Integrität erhalten bleibt.“

Neuausrichtung

Marketing, das ist laut Duden die „Ausrichtung eines Unternehmens auf die Förderung des Absatzes durch Betreuung der Kunden, Werbung, Beobachtung und Lenkung des Marktes sowie durch entsprechende Steuerung der eigenen Produktion“. Ab sofort unterstützt Maike Otten diese Ausrichtung für die Themen Nationalpark, Weltnaturerbe und für das Multimar Wattforum als größtes Nationalpark-Zentrum. Sie hat die Marketing-Stelle in der Nationalparkverwaltung übernommen.

Der Lebensweg der 43-Jährigen scheint fast zwangsläufig auf diese Stelle hinzuführen: Auf Langeoog wuchs sie auf, arbeitete dort für die Kurverwaltung und leitete die Kinderspielhäuser. Bei der Expo 2000 in Hannover beschäftigte sie sich mit dem Produktmanagement und touristischen Reservierungssystemen, bevor sie in Bremen am internationalen Studiengang für Freizeit- und Tourismuswissenschaften teilnahm und mit einer Masterarbeit über den Einfluss des Weltnaturerbe-Status auf die nachhaltige Regionalentwicklung der niedersächsischen Nordseeküste abschloss. Als sie die Ausschreibung der Nationalparkverwaltung sah, dachte sie: „Ja, Maike, das ist es, wie für dich geschaffen“. Nun richtet sie ihr Leben an unserer Küste neu aus.


Herausgeber

LKN-SH | Nationalparkverwaltung
Schlossgarten 1 | D-25832 Tönning

Redaktion: Dr. Hendrik Brunckhorst, Bernhard Dockhorn
Kontakt:
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