Schleswig-Holstein

15.02.2016 |

Februar 2016

MOIN, MOIN!
Wale gehören zu den Tieren, die uns Menschen in besonderer Weise faszinieren. Die Strandungen der Pottwale im und am Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer in den vergangenen Wochen haben denn auch nicht nur Tierfreunde bewegt – und die Nationalparkverwaltung sowie viele andere an der Bewältigung der Situation Beteiligte in Atem gehalten. Grund genug, diese Ausgabe der Nationalpark Nachrichten allein diesem Thema zu widmen, mit einer Chronologie der traurigen Ereignisse und weiteren Informationen über Wale.

Noch ein paar Worte in eigener Sache: Dass Behörden Lob aus der Bevölkerung bekommen, ist nicht eben alltäglich. Den Bergungsteams ist das geschehen, in Form von Kommentaren auf der Facebook-Seite der Nationalparkverwaltung und eines Briefes. „Wir waren alle tief beeindruckt von der Tatkraft und Unerschrockenheit, mit der alle Ihre Mitarbeiter dort ‚blutig‘ zu Werke gingen“, schreibt ein Zeuge der Zerlegearbeiten im Meldorfer Speicherkoog. Und weiter: „Was mich aber zu diesem Schreiben veranlasst, ist die Freundlichkeit und Zuwendung zu uns Schaulustigen, die uns dort begegnet ist … tausend Fragen wurden mit Engelsgeduld beantwortet …“ Anerkennung für eine schwierige Aufgabe – danke dafür!

Rubrik Aktuelles neu

Traurige Chronologie

© LKN.SH

Meldung am 8. Januar: Erneut haben sich Pottwale in die Nordsee verirrt und sind hier verendet. Totfunde werden aus Niedersachsen (Wangeroge, Eversand, Wesermündung), auf der niederländischen Insel Texel und schließlich auch in Schleswig-Holstein gesichtet: Zwei Kadaver treiben bei Helgoland, einer wird auf einer Sandbank vor Büsum entdeckt. Alle drei werden zum LKN-Hafen am Holmer Siel auf Nordstrand geschleppt und dort von einem Team des Institutes für Terrestrische und Aquatische Wildtiervorschung (ITAW) an der Tierärztlichen Hochschule Hannover seziert, unter anderem, um Alter, Gesundheits- und Ernährungszustand zu bestimmen. Die sterblichen Überreste werden in die Tierkörperverwertung gebracht. Insgesamt mussten in diesen Januarwochen in den Niederlanden, in Niedersachsen und Schleswig-Holstein zwölf Pottwalkadaver von den Stränden geborgen werden.

Am Sonntag, 31. Januar, eine weitere Schreckensmeldung über die Sichtung von Walen, diesmal an der Dithmarscher Küste. Mit Eintritt des Tageslichtes am nächsten Morgen wird das ganze Ausmaß des Dramas deutlich: Acht Pottwale liegen im Watt rund zwei Kilometer vor dem Kaiser-Wilhelm-Koog. Erste Bergungsversuche am nächsten Tag müssen wegen des starken Sturmes abgesagt werden, von Mittwoch an werden die Kadaver dann einer nach dem anderen ans Festland gezogen, dort auf Tieflader gehoben und in den Meldorfer Speicherkoog gebracht. Erneut kommt hier das ITAW-Team zum Einsatz, untersucht die Tiere und nimmt Gewebeproben. Wie schon bei den Arbeiten am Holmer Siel, kommt Unterstützung von Partnern, etwa vom Meeresmuseum in Stralsund und der Universität Rostock.

Da ist längst klar: Weit draußen im Watt liegen zwei weitere Walkadaver, einer auf dem Blauortsand und einer auf einer Sandbank nördlich der Norderpiep. Am Freitag (5.) und in der darauffolgenden Nacht gelingt es, sie bei Niedrigwasser mit Raupen zur Wasserkante zu ziehen, dann per Schiff zum Meldorfer Hafen und weiter zum Speicherkoog zu bringen.

Auch am Wochenende wird bis zur Erschöpfung durchgearbeitet – eine Kraftanstrengung für alle Beteiligten. Und eine traurige Aufgabe: Eine Ansammlung solch imposanter Meeressäuger gestrandet und verendet zu sehen, lässt wohl niemanden unberührt. Auch nicht die vielen Interessierten, die sich bei den Bergungsarbeiten sowohl auf Nordstrand als auch im Speicherkoog eingefunden – und großen Informationsbedarf haben. Nationalpark-Ranger und weitere Mitarbeiter aus der Nationalparkverwaltung sind hier im Dauereinsatz.

So, wie auch die vielen anderen beteiligten Mitarbeiter des Landesbetriebes für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz (LKN), wie Bagger- und Raupenfahrer auch von beauftragten Fremdfirmen, wie das ITAW-Team, wie die Besatzungen der Bergungsschiffe der Schifffahrtsverwaltung und des LKN sowie die unzähligen Aktiven im Hintergrund, die durch sorgfältige Organisation einen reibungslosen Ablauf möglich machten – bis hin zu denen, die für Verpflegung und Wärmecontainer an den Orten des Geschehens sorgten. „Diese Bereitschaft eines jeden, sich mit seinen Kompetenzen voll einzubringen, dieser Teamgeist … das hat mich wirklich beeindruckt“, zieht der Leiter der Nationalparkverwaltung und Koordinator der Bergungsarbeiten Detlef Hansen jetzt Bilanz. „Mir bleibt nur, allen für ihre Motivation und ihr Engagement bei beiden Großereignissen zu danken.“

International betrachtet sind in den vergangenen Wochen, also von Januar bis heute, nach Informationen der WDC (Whale and Dolphin Conservation) insgesamt 29 Pottwale an den Küsten Deutschlands, der Niederlande, Großbritanniens und Frankreichs gestrandet. Ob es sich um eine zusammenhängende Gruppe von Jungbullen handelt? Dies herauszufinden, ist eines der Ziele der derzeit laufenden Untersuchungen – unter anderem durch eine Analyse des Magen- und Darminhaltes.

© Ahlborn / LKN.SH

Der Pottwal (Physeter macrocephalus) gehört zur Unterordnung der Zahnwale. Er ist in allen Ozeanen zu Hause. Die Bullen wandern in Gruppen über große Strecken und stoßen dabei teilweise bis in Polargebiete vor, während die Weibchen mit den Jungen in wärmeren Gewässern bleiben.

Der Pottwal ist das größte bezahnte Tier der Erde: Männchen werden bis zu 20 Meter lang und 50 Tonnen schwer. Die Meeressäuger können bis zu 3000 Meter tief tauchen und ernähren sich in erster Linie von dort erbeuteten Tintenfischen. Zur Orientierung und Nahrungssuche setzen sie eine Form der Echoortung ein.

Der lateinische Name dieser Walwart bedeutet „der Bläser mit der großen Nase“, die deutsche Bezeichnung ist laut Online-Lexikon Wikipedia von der Form des Kopfes abgeleitet, der wie ein Topf (plattdeutsch „Pott“) hervorragt. International gebräuchlich ist die englische Bezeichnung „Sperm whale“. Diese geht darauf zurück, dass Walfänger die ölige Substanz im Schädel der Tiere, den Walrat, fälschlicherweise für Sperma (englisch: sperm) hielten.

Weitere Informationen über Pottwale sind in einem Infopapier zusammengestellt, das hier zum Download verfügbar ist.

Der Orca von Sylt

© Dethlefs

Die toten Pottwale in Dithmarschen waren noch nicht ganz abtransportiert, da gab es den nächsten Fund: Vom Strand in Rantum auf Sylt meldete der Seehundjäger Claus Dethlefs am Montag den angeschwemmten Schwertwal. Das Tier wurde ins Büsumer Institut für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung (ITAW) der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover gebracht und dort umgehend untersucht. „Es handelt sich um ein Kalb, das erst seit kurzem tot war“, so die Informationen von ITAW-Leiterin Professor Ursula Siebert bereits einen Tag später, und: „Möglicherweise ist es lebend gestrandet.“

Das Tier war ein 2,46 Meter langes und 185 Kilogramm schweres Männchen. Da in seinem Magen Milch gefunden wurde, gehen die Wissenschaftler davon aus, dass es frisch gesäugt war. „Die Mutter muss das Kalb kurz bevor es strandete verloren haben“, vermutet Siebert. Es sei möglich, dass sich eine Gruppe von Schwertwalen im Bereich der Nordsee aufhielt und das Junge durch den Sturm von der Mutter getrennt wurde.

Der Schwertwal (Orcinus orca) ist eine – und dort die größte – Art aus der Familie der Delfine. Sein besonderes Merkmal ist die auffällige schwarz-weiße Färbung. Er ist weltweit verbreitet, bewohnt laut der internationalen Naturschutzorganisation IUCN jedoch bevorzugt küstennahe Gewässer in höheren Breiten. Die Durchschnittsgröße beträgt 8,2 Meter bei den Bullen und 7 Meter bei den Weibchen; männliche Tiere können jedoch auch bis zu annähernd 10 Meter lang werden. Schwertwale sind Räuber, die sich von einer Vielzahl von Fischarten, Meeressäugern, Seevögeln und anderen Tieren ernähren.

Historische Strandungen

© Brunckhorst / LKN.SH

Die Walstrandungen der vergangenen Wochen waren nicht die ersten dieser Art. Bereits seit Jahrhunderten hat es solche Ereignisse an der Nordseeküste gegeben. Das belegt die „Historie der Strandungen von Pottwalen und anderen Großwalen an der Nordseeküste“, die die Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer zusammengestellt hat. Danach wurden seit dem 16. Jahrhundert einschließlich derer im Januar 2016 (also ohne die vor Dithmarschen in der vergangenen Woche) „bisher 15 spektakuläre Massenstrandungen verzeichnet“. Das vollständige Dokument ist hier zum Download verfügbar.

Übrigens stammt auch das Skelett des Pottwales, das das Herzstück der Ausstellung im Multimar Wattforum im Tönning bildet, aus einer Strandung, und zwar im Jahr 1996 auf der dänischen Insel Rømø. Ergänzend wird derzeit im Multimar eine Informationssammlung zusammengestellt, die die aktuellen Vorkommnisse in Wort und Bild dokumentiert.

© Stock / LKN.SH

Wenn es um Wale geht, ist er dabei: Gerd Meurs, Leiter des Multimar Wattforums in Tönning und stellvertretender Leiter der Nationalparkverwaltung, ist ein Experte in Sachen Meeressäuger – insbesondere, wenn es um die Zerlegung der Kadaver geht. Kein Wunder also, dass seine Sachkenntnis bei den Bergungsarbeiten in den vergangenen Wochen gefragt war.

Denn beim Umgang mit den gestrandeten Meeresriesen kann einiges schief gehen. Zum Beispiel bläht sich der Walkörper schnell auf und kann im Ernstfall sogar platzen; darum gilt es, das Messer richtig anzusetzen zu einem sogenannten Entlastungsschnitt. „Dabei schneidet man entlang der Rückenlinie die äußere Speckschicht auf“, erläutert Meurs, „und dann hört und spürt man schon, wie viel Druck da ist.“

Die Grundlagen für seine Walexpertise wurden vor rund 20 Jahre gelegt, als an der deutschen und dänischen Nordseeküste mehrere Pottwale strandeten. Fünf davon hat der Biologe für die Wissenschaft gesichert – vier Skelette gingen nach Stralsund, eines ist heute das Highlight der Walausstellung im Multimar Wattforum in Tönning. „Damals habe ich gelernt, wie man einen Wal richtig zerlegt“, erinnert sich Gerd Meurs – und dieses Wissen in mittlerweile weit mehr als 30 Fällen eingesetzt. Leicht fällt ihm dies, bei aller Routine, nie. „Es bewegt mich schon, zu einem toten Tier zu kommen und den Schnitt zu setzen“, sagt der 58-Jährige. „Es macht einfach traurig.“

Suche nach den Ursachen

© Brunckhorst / LKN.SH

Jetzt haben die Wissenschaftler das Wort: Die Leiterin des Institutes für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung (ITAW) an der Tierärztlichen Hochschule Hannover Prof. Ursula Siebert und ihr Team untersuchen derzeit die vielen von den gestrandeten Walen entnommenen Gewebeproben. „Wir erhoffen uns dadurch Aufschluss über die Ursachen der Strandungen“, sagt der Leiter der Nationalparkverwaltung Detlef Hansen. Voraussichtlich Mitte März werden die Ergebnisse der Arbeiten am ITAW vorliegen und der Öffentlichkeit präsentiert.

Was ist bisher bekannt? Als gesichert gilt, dass es sich bei den gestrandeten Tieren durchweg um junge Bullen auf ihren Wanderungen zwischen den nahrungsreichen Gewässern im Norden und den wärmeren Gebieten um die Azoren handelt. Fest steht weiterhin, dass die Nordsee kein geeigneter Lebensraum für die Meeresriesen ist. Das Gewässer ist zu flach, um sich gut orientieren zu können, und geeignete Nahrung finden sie hier auf Dauer nicht.

Weniger eindeutig können selbst Experten die Frage beantworten, warum sich trotzdem immer wieder Individuen hierher verirren. Faktoren wie El-Nino-Ereignisse und deren Auswirkung auf Wassertemperatur und Beuteorganismen, aber auch menschengemachte Einflüsse wie Schall, der den Orientierungssinn stört, Umweltverschmutzung sowie der Einfluss der Jagd in der Vergangenheit (Verlust von Wissen über sichere Wanderrouten) werden als Ursachen diskutiert. Zugleich verweisen Biologen auf die Tatsache, dass der zufällige oder gezielte Vorstoß von Tierarten auf unbekanntes Terrain ein natürlicher Prozess sein kann – ein Teil der Evolution. Manche solcher Bewegungen erweisen sich als Sackgasse, andere als erfolgreiche Eroberung eines neuen Lebensraumes.


Herausgeber

LKN-SH | Nationalparkverwaltung
Schlossgarten 1 | D-25832 Tönning

Redaktion: Heike Wells, Bernhard Dockhorn
Kontakt:

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