Niedersachsen

3 Fragen an Holger Wesemüller

März 2021

Wer die Geschichte unseres Nationalparks recherchiert, kommt an Holger Wesemüller nicht vorbei: Schon seit über 40 Jahren engagiert er sich für den Schutz des Wattenmeers. Seit Einrichtung des Nationalparks (1986) ist er Mitglied im Nationalpark-Beirat und seit 2016 auch Vorsitzender dieses Gremiums, das die vielfältigen Interessen der Anrainer vertritt. Im Interview erzählt er von Meilensteinen, aber auch Stolpersteinen auf dem langen Weg für den Wattenmeerschutz.

Herr Wesemüller, Sie könnten ganze Bücher schreiben über die Geschichte des Wattenmeer-Schutzes in allen ihren Facetten. Hier mal ganz pointiert: Was waren Ihre persönlichen Meilensteine auf diesem langen Weg?  

Der im Landesdienst 1979 entwickelte Vorschlag für ein ganzheitliches Schutzsystem wurde 1986 im politischen Wettbewerb mit Schleswig-Holstein als Nationalpark umgesetzt – natürlich als politischer Kompromiss. Dies war eine neue Dimension im Naturschutz. Das gilt ebenso für die Sichtweise, das gesamte trilaterale Wattenmeer als ökologische Einheit zu betrachten mit dem Ziel, dort die natürlichen Prozesse möglichst ungestört ablaufen zu lassen. Die trilaterale Einrichtung des Gemeinsamen Wattenmeersekretariats, das Seehundabkommen 1987 sowie der Ansatz zu einem gemeinsamen Managementplan der Wattenmeerstaaten (Stade 1997) unterstreicht die staatenübergreifende Bedeutung des Gebiets. Derzeit wird verstärkt das Netzwerk der verschiedenen Interessensgruppen über Grenzen hinweg geknüpft und dies mit dem Partnerschaftszentrum am Standort Wilhelmshaven im übernächsten Jahr auch nach außen hin sichtbar werden. Die Auszeichnung des Wattenmeers als UNESCO-Weltnaturerbe (Juni 2009) betont die internationale Bedeutung des Naturraumes. In den Anfangsjahren konnte Niedersachsen nicht in allem Schritt halten. Dies wurde dann aber teilweise aufgeholt, denn mit dem Nationalpark haben wir viel erreicht: Zu diesen großen Errungenschaften zählt der Wandel im Küstenschutz – weg von Eindeichungen sogar hin zu Ausdeichungen und verstärkter Beachtung der natürlichen Gegebenheiten nach dem Motto „So viel Küstenschutz wie nötig, so viel Naturschutz wie möglich“. Ein ausgezeichnetes Beispiel liefert die Öffnung des Langwarder Grodens, gegen die lange Zeit großer Widerstand vor Ort herrschte. Heute ist das Gebiet eine Bereicherung für die Region sowie das Naturerleben und somit ein Magnet für Besucher. Informationen und die Bildungsarbeit im Park wurden verstärkt, Kommunen und Umweltverbände in die Nationalparkeinrichtungen eingebunden. Und es wurde in 2014 endlich ein Durchbruch in der Betreuung des Gebiets mit der Etablierung eines professionellen, gleichwohl noch auszubauenden Rangersystems erzielt, das ergänzt wird durch ehrenamtlich tätige Kreise. Nicht zu vergessen ist auch die Entwicklung eines Biosphärenreservates, mit dem eine nachhaltige Entwicklung im Küstenumfeld angestrebt wird.  

Als „Urgestein“ ist Ihnen auch ein Blick zurück im Zorn gestattet – worüber haben Sie sich am meisten geärgert? 

Probleme haben wir noch mehrere zu lösen, selbst beim Tourismus oder der verzichtbaren Freizeitjagd. Doch der Umgang mit den in das Wattenmeer mündenden Flüssen ist viel schwerwiegender! Statt die Ästuare mit dem Vorland im Übergang vom Salz- zum Brackwasser mit in das Nationalparkregime einzubeziehen, wird die Flussnatur an Ems, Weser und Elbe seit Jahrzehnten durch eine sich weiterdrehende Vertiefungsspirale malträtiert. Am ehesten ließe sich eine Besserung durch ein arbeitsteiliges Zusammenwirken der deutschen Nordseehäfen erreichen – weitere Eingriffe in die Unterläufe der Flüsse würden so verzichtbar und Renaturierungsmaßnahmen besser umsetzbar. Auch die notwendige Verbesserung der Schiffssicherheit und des seeseitigen Schutzes des Weltnaturerbes Wattenmeer nach verschiedenen Havarien entlang der südlichen Nordseeküste geht allenfalls – und mir viel zu – langsam voran. So warten wir seit bald zwei Jahrzehnten (!) auf die überfällige Novellierung der Befahrensregelung in den drei deutschen Wattenmeer-Nationalparks. Dafür fehlt mir jegliches Verständnis! Aber das Land selbst könnte Vorreiter sein zum Beispiel bei der dringlichen Räumung der militärischen Munitionsaltlasten im niedersächsischen Küstenmeer und gemeinsam mit dem Bund ein höheres Tempo anschlagen, um die tickende Zeitbombe endlich und grundsätzlich zu beseitigen. Darin sind wir uns im Nationalparkbeirat übrigens alle einig.

Sie haben mal strategisch, mal unbequem in einem wachsenden Netzwerk agiert – gab es dabei auch Überraschendes?  

Erfreulich ist die wachsende Zustimmung unter den niedersächsischen und trilateral tätigen Umweltverbänden, in Fragen des Wattenmeerschutzes zusammenzuarbeiten. Diese Tendenz sehe ich auch im Zusammenwirken mit verschiedenen Interessensgruppen in der Region. Der Segler-Verband Niedersachsen etwa setzt sich genauso wie der Sportvertreter im Nationalparkbeirat mit Nachdruck für den Erhalt des Wattenmeers ein. Der Wandel bei kritisch-konstruktiven Diskussionsprozessen zu mehr Miteinander – selbst bei stellenweise divergierenden Auffassungen – ist eine Voraussetzung, Nationalpark und Weltnaturerbe gemeinsam langfristig zu erhalten und zu entwickeln. Das stimmt positiv für die Zukunft. Die für mich überraschende Wahl als Vorsitzender des Nationalparkbeirats mag Ausdruck eines gewachsenen Vertrauens sein.   

Das Foto zeigt Holger Wesemüller – ganz hinten in der Mitte – im Kreise der „Wattenmeer-Senioren“. Dieses Gremium der Wattenmeer-Ruheständler aus D, DK und NL unter der Leitung von Jens Enemark setzt sich weiterhin mit aktuellen Entwicklungen im Wattenmeer auseinander. Das Foto von den „Seniors“ hat Johan Krol im April 2017 auf Ameland aufgenommen.