Einen Rückblick auf 10 Jahre Weltnaturerbe aus kommunaler Sicht warf Stephan Eiklenborg, Bürgermeister der Gemeinde Sande. Die friesische Kommune wurde bereits 2007 erste Biosphärenreservatsgemeinde. „Die Zeit, in der wir leben, verpflichtet uns, mehr Natur zu denken. Und das nicht nur institutionell, sondern und vor allem auch privat und individuell“, so Eiklenborg. „Hierbei ist die unmittelbare Nachbarschaft zum Weltnaturerbe als Biosphärenreservatsgemeinde ein immer vorhandener Impuls, sich mit den Themen gesunde Natur, intakte Umwelt und dem Nutzen für den Menschen auseinanderzusetzen.“ Am Beispiel des Projekts „Bienengemeinde Sande“ machte er deutlich, wie erfolgreich eine Initiative sein kann, die aus der Bevölkerung kommt und von dieser getragen, aber eben auch von Politik und Verwaltung unterstützt wird. „Wichtig ist die Erkenntnis, dass jeder etwas bewirken kann“.
Eine Bilanz aus touristischer Perspektive zog Arno Ulrichs, Abteilungsleiter für Verkehr und Tourismus bei der Industrie- und Handelskammer für Ostfriesland und Papenburg. “Grundsätzlich sehen auch die Unternehmen aus Hotellerie und Gastronomie Vorteile im Weltnaturerbe-Status. Für die weitere Entwicklung des Weltnaturerbes Wattenmeer kommt es entscheidend darauf an, die betroffene Bevölkerung ‘mitzunehmen’, damit diese sich in ihrem Lebensraum nicht eingeschränkt fühlt, sondern die Chancen, die sich aus dem Weltnaturerbe-Status ergeben, überwiegen.” Damit stieß er auch eine intensive Diskussion über soziale Nachhaltigkeit an: „Das Weltnaturerbe muss auch Lebensraum für Einheimische bleiben“. Mit Sorge beobachtet er, dass – ähnlich wie auf Sylt – viele Beschäftigte zwischen Festland und Inseln pendeln müssen, weil auf den Inseln der Wohnraum knapp und teurer wird. Sein Denkanstoß: „Wir müssen Wachstum neu denken“. Die Steigerung der Gästezahlen sei dabei nicht vorrangiges Ziel. Ein Thema ist auch die saisonale Auslastung. Am Ende des Sommerhalbjahres seien die Betriebsinhaber oft „platt“ –- und nehmen sich anschließend eine längere Auszeit. Die Tourist:innen, die auch das Winterhalbjahr als tolle Reisezeit für das Wattenmeer entdeckt haben, stehen dann vor verschlossenen Türen. Dieses Phänomen bestätigte auch Katja Just. Aus der angeregten Diskussion entwickelte sich der Gedanke, den Touristenstrom durch Attraktivierung der Wintersaison besser zu verteilen, wovon sowohl die touristischen Dienstleister als auch die Gäste im Sinne einer Entschleunigung profitieren könnten.
Dr. Albrecht Biessmann, zertifizierter Nationalpark-Führer und Vorsitzender der Wattführergemeinschaft Niedersächsische Nordseeküste, gab einen Einblick aus Sicht eines „Welterbe-Erlebbar-Machers“. Für die Wattführergemeinschaft sei der Netzwerkgedanke im Weltnaturerbe, der aus den Partnerschaften hervorgeht, von großer Bedeutung. „Der Wattführergemeinschaft liegt ganz besonders am Herzen, sich aktiv für den Schutz dieses einzigartigen Lebensraums einzusetzen und seine Bedeutung auf ihren Führungen lebhaft zu vermitteln. Wir begrüßen und fördern ausdrücklich die vielfältigen Veranstaltungen und Veröffentlichungen zum UNESCO-Weltnaturerbe inklusive der jungen Generation, auch auf internationaler Ebene.“ Eine Herzensangelegenheit ist ihm und seinen Kolleg:innen der Schutz des Seeadlers, der im Weltnaturerbe noch gestärkt werden könne.
In der Diskussion wurde deutlich, dass das Wattenmeer für Gäste einen großen „Wow“-Effekt hat, während es für viele Einheimische alltäglich und deshalb „nix besünners“ ist. Das ändert sich, sobald sie – oft erstmals, oder nach langer Zeit mal wieder – z. B. eine Wattwanderung mitmachen. Auch deshalb werden jährlich zum Weltnaturerbe-Geburtstag Ende Juni kostenlose Wattwanderungen für Einheimische angeboten. Es wurde angeregt, gemeinsame Führungen für Tourist:innen und Einheimische anzubieten, damit letztere das Naturwunder vor ihrer Haustür einmal „durch die Brille“ des Gastes sehen und sich von der Begeisterung anstecken lassen.
Susanne Gerstner, Geschäftsführerin des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND Landesverband Niedersachsen) zog aus Sicht des verbandlichen Naturschutzes eine „durchwachsene“ Bilanz. Einerseits teilte sie die Freude über Erfolge im Arten- und Lebensraumschutz, z. B. die Rückkehr von Löffler und Kegelrobbe ins Wattenmeer. Auf der anderen Seite gäbe es vielerlei Anlass zur Besorgnis. So ist bei einigen Zugvogelarten ein Bestandsrückgang zu verzeichnen, und die Hälfte der Fischarten in Nordsee und Wattenmeer ist bedroht. Zu den Ursachen zählen u. a. Nutzungsdruck, Belastungen wie zu hohe Nährstofffrachten, die über die Flüsse ins Meer gelangen, oder Verschmutzungen z. B. durch Tankreinigungen der Schiffe. Zudem: „Fortdauernde Baggerungen und Verklappungen stehen im Widerspruch zum Weltnaturerbe-Kriterium des ungestörten Ablaufs natürlicher Prozesse“, stellte Gerstner fest. Auch die Förderung von Erdöl und Erdgas im Wattenmeer sei unvereinbar mit dem Welterbe-Status, ebenso die Jagd auf Zugvögel im Wattenmeer. Im touristischen Sektor sei es wichtig, die bereits erarbeiteten Strategien für einen nachhaltigen Tourismus nun auch umzusetzen. Ausdrücklich bedankte sich Gerstner bei der Nationalparkverwaltung und vielen weiteren Partnern für die gute Kooperation in den vergangenen Jahren.