Hamburg

Erfahrungsbericht 2022

Erfahrungsbericht: Vogelwart:in auf Scharhörn

von Eike Gassler

Wer möchte nicht mal eine Zeit lang auf einer einsamen Insel sein, der ganzen Hektik des Alltags entkommen und im Einklang mit der Natur leben? Nun, auf Scharhörn ist das möglich.

Wer sich für Vögel, Natur und Wattenmeer interessiert, kann sich auf die Stelle als Vogelwart:in auf Scharhörn bewerben. Eine Voraussetzung für die Stelle ist körperliche Fitness, da es für die Arbeit unabdingbar ist, viel auf den Inseln Scharhörn und Nigehörn und im Watt zwischen Neuwerk und Scharhörn herumzulaufen. Außerdem muss die Bereitschaft vorhanden sein, mit den etwas anspruchsvolleren Lebensbedingungen auf Scharhörn zurechtzukommen. Die gravierendsten Unterschiede sind das Alleinsein und dass es kein fließendes Wasser gibt. Alles Wasser kommt mit Wasserkanistern von Neuwerk und das Klo ist ein klassisches Plumpsklo. Überdies wird mit Holz geheizt und Lebensmittel müssen gut organisiert werden, da es auch auf der bewohnten Insel Neuwerk, die der nächste Anlaufpunkt ist, keine Möglichkeit gibt, Lebensmittel einzukaufen und Lasten nur alle paar Wochen von Treckern übers Watt transportiert werden können und außerhalb dieser Zeiten getragen werden müssen. Der Verein Jordsand und die Nationalparkverwaltung Hamburgisches Wattenmeer, wünschen sich außerdem noch, dass die Person auf Scharhörn eine wissenschaftliche Arbeit über ein gebietsspezifisches Thema schreibt.

Scharhörn Hütte

© Peter Körber

Wer sich all das vorstellen kann, ist sicher gut geeignet, für eine Saison, also siebeneinhalb Monate, Vogelwart:in auf Scharhörn zu werden. Die konkreten Aufgaben vor Ort sind dann die Brutvogelkartierung über die ersten drei Monate und die Zugplanbeobachtung in den letzten zwei Monaten. Über die gesamte Zeit steht alle zwei Wochen ein Spülsaummonitoring, ein Müll-Monitoring auf 100m Strand und die Wasser- und Watvogelzählung, also eine Zählung aller Vögel bei Hochwasser, an. Dazu können noch weitere Monitoringaufgaben in unterschiedlichen Abständen kommen. Alle Daten, die bei diesen Aufgaben gesammelt werden, müssen außerdem digitalisiert werden. Und natürlich soll jeden Tag die Vogelwelt beobachtet und bei ornitho.de gemeldet werden. Hin und wieder kommen Gäste auf die Insel. Aufgabe der:s Vogelwart:in ist dann, diese zu empfangen, auf die Hütte zu führen und ihnen eine kurze Führung zu geben.

Für mich war es eine sehr besondere und schöne Zeit, weil ich den Lebensraum Wattenmeer sehr gut kenne, mich sehr für ihn begeistern kann und mich darin sehr zuhause fühle. Im Laufe einer Saison, also von Mitte März bis Ende Oktober gibt es viel Zeit, die Inseln Scharhörn und Nigehörn (und auch Neuwerk) kennenzulernen und ihre Entwicklung im Laufe der Jahreszeiten zu beobachten. Zu Beginn gab es für mich diverse Wetterereignisse: Schnee, Sturm, Hagel, Regen. Mit dem Sturm auch ein erstes überdurchschnittlich hohes Hochwasser, zur Zugzeit einhergehend mit großen Vogelschwärmen, die wolkenartig immer wieder den Rastplatz wechseln. Zu jeder Zeit gab es immer wieder wunderschöne Sonnenauf- und -untergänge und sternenklare Himmel bei Nacht. Im Sommer gab es zeitweise sehr heiße Tage, die gerade während Outdoor-Aufgaben sehr fordernd waren, da es auf Scharhörn und Nigehörn kaum Schatten gibt. Lediglich die Hütte auf Scharhörn und die Gehölzniederung auf Nigehörn bieten ein bisschen Schutz vor der Sonne. In Richtung Herbst gab es tolle Licht- und Wolkenverhältnisse, Regenbögen und weitere sturmbedingt höhere Hochwasser.

In all diesen Zeiten haben sich die Inseln und das Leben permanent verändert. Zu Beginn war der Frühjahrszug noch in vollem Gange und die Brutzeit begann. Durch die Brutvogelkartierung habe ich davon einiges mitbekommen und gerade die Möwen brüten überall in den Dünengebieten der Inseln Scharhörn und Nigehörn, also auch rund um die Hütte. Zum einen haben die Möwen ihre Brut relativ aggressiv verteidigt, andererseits konnte ich sehr nah an die Nester herankommen, weil sie teilweise sehr nah an meinen Wegen gebrütet haben. Auch über die Nester und Küken anderer Vögel bin ich immer wieder gestolpert oder habe sie im Rahmen einer Koloniebegehung gezielt aufgesucht. In der Brutzeit gab es in diesem Jahr einen großen Vogelgrippe-Ausbruch in Brutkolonien. Zwar war keine Brutkolonie auf Scharhörn oder Nigehörn betroffen, aber auf Neuwerk. Dadurch lagen auch auf Scharhörn mehrere hundert Vogelkadaver herum, die täglich zu zählen eine weitere meiner Aufgaben wurde. Nach Ende der Brutzeit begann merklich die Mauserzeit und der Herbstzug. Zeitweise waren über 30.000 mausernde Brandgänse im Hamburgischen Wattenmeer und mit der Zeit kamen immer mehr rastende Zugvögel dazu. Im Herbst gab es dann auch mehrere sturmbedingt höhere Hochwasser, die die Vögel weit auf die Insel getrieben haben – sehr beeindruckende Momente.

Auch abseits der Vogelwelt haben sich die Inseln stetig weiterentwickelt: Mit jeder Sturmflut wurde ein Teil der Vegetation oder gar ganze Dünenstücke weggerissen, Strand abgetragen und an anderen Stellen wieder Sand an bestehenden oder als neue Dünen aufgelagert. Außerdem konnte ich im Laufe der Monate viele Veränderungen in der Vegetation feststellen. Während zu Beginn die Salzwiese erst spross, blühten in den Dünen auf Nigehörn schon die Veilchen und die Bäume und Sträucher bekamen Blätter. Im Juni, Juli und August blühten richtig viele Pflanzen und brachten damit viel Farbe in die eher öde Wiesen- und Dünenlandschaft. Die Salzwiese färbte sich schon ab Anfang August schon wieder deutlich rot und Ende September und im Oktober konnte ich nochmal blühende Pflanzen feststellen, die ich schon verblüht gewähnt hatte.

Was ich so berichte, liest sich sicher ziemlich schön und ich möchte gar nicht bestreiten, dass ich die Zeit dort und auch den Ort selbst sehr genossen und liebgewonnen habe. Trotzdem ist auch auf Scharhörn nicht alles rosig, deshalb möchte ich noch kurz auf ein paar Probleme eingehen, die es dort gibt: Zum einen führt das Außenelbfahrwasser sehr nah an Scharhörn vorbei. Deshalb fahren die großen Frachtschiffe, auf dem Weg zum oder vom Hamburger Hafen ebenfalls sehr nah an der Insel vorbei. Industrie und Globalisierung sind also zum Greifen nah. Diese Schiffe brauchen mitunter ein sehr tiefes Fahrwasser, deshalb fahren permanent Schlickbaggerschiffe vor Scharhörn hin und her und halten das Fahrwasser frei. Ein weiteres Problem auf Scharhörn ist der viele Müll. Nicht nur am Strand, auch auf dem Rest Insel liegt sehr viel Müll herum. Teilweise schon sehr lange und schon von Vegetation überwachsen. Letzten Winter kam mit der Orkanflut sogar ein Kühlschrank auf die Insel, der jetzt in der Düne sein Dasein fristet. Diese Dinge zu sehen ist sehr traurig.

Alles in allem war es für mich eine sehr schöne und entschleunigende Zeit. Ich konnte die Natur und die Inseln im Hamburgischen Wattenmeer sehr genießen. Auch mit dem Umstand dort alleine zu sein, konnte ich meistens sehr gut umgehen bzw. habe mich sehr wohl damit gefühlt, obwohl ich vor allem sehr schöne Momente manchmal gerne mit einer anderen Person geteilt hätte. Da es vor Ort Strom, Internet, Fest- und Mobilfunknetz gibt, ist man auch gar nicht so sehr abgeschieden, wie das früher mal der Fall war. Es ist trotzdem eine Form des Alleinseins, die wohl jede Person dazu bringt, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Wer also Lust hat, sich einmal ganz sich selbst und der Natur hinzugeben, ist hier genau richtig!