Kommunikation mit den Touristen ist eine wichtige Aufgabe im Ehrenamt von Jürgen Dreckschmidt. Nicht schimpfen, sondern überzeugen ist dabei seine Devise. Und dann wird es ernst: Die Besucher:innen des Flinthörns stellen Fragen: Wie heißen die kleinen Vögel, die da emsig am Wassersaum hin und herlaufen? Wie heißen die schwarz-weißen Flugkünstler, die sich aus der Luft runterstürzen lassen? Und wer sind die Vögel mit den roten Beinen und dem langen, roten Schnabel? Zum Glück gibt es Jochen Runar. Der Ranger nimmt Jürgen Dreckschmidt mit auf Vogelbeobachtungs-Touren, und er drückt ihm “Pareys Vogelbuch“ in die Hand. Hausaufgaben für den Feierabend. So lernt der Freiwillige immer mehr über die Vogelwelt der Insel. Sanderlinge sind die emsigen Läufer, Kiebitze die Flugkünstler und Austernfischer die mit rotem Schnabel und roten Beinen, aber schwarz-weiß müssen die sein, sonst könnte es auch um Rotschenkel handeln.
Jürgen Dreckschmidt lernt die unendliche Vielfalt des Weltnaturerbes Wattenmeer kennen, und er bewundert den Ranger, der diese verwirrende Vielzahl an Vögeln zuordnen und auseinanderhalten kann. Der Job eines Rangers umfasst viel Aufklärungsarbeit, und das setzt ein großes Wissen voraus. Wie fundiert Ranger ausgebildet sind und wie wichtig ihre Arbeit ist, erfährt Jürgen Dreckschmidt auf dem Bundesweiten Naturwachttreffen im März, das erstmals von der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer ausgerechnet in der Zeit seines Ehrenamtes auf Langeoog ausgerichtet wird. Jürgen Dreckschmidt ist sofort mit dabei: Als Veranstaltungsprofi unterstützt er bei der Vorbereitung und Durchführung dieser Fachtagung, und er erfährt viel über Aufgaben und Tätigkeit von Rangern in Nationalparks.
Pflege und Hege von Flora und Fauna, das ist die eine Sache, ein Job immer schön in der freien Natur. Aber Interessenskonflikte zwischen Tourismus und Naturschutz sind ebenfalls wichtige Themen für Ranger, und da geht es um Politik, Interessensabwägung und Diplomatie. „Ein Ranger ist eben kein Sheriff“, sagt Jürgen Dreckschmidt, „sondern eher ein Diplomat, der mit unterschiedlichsten Zielgruppen umgehen können muss.“ Auf dem Naturwachttreffen, an dem 160 Ranger:innen teilnehmen, wird Jürgen Dreckschmidt klar: „Ehrenamt beim Nationalpark Wattenmeer, das ist mein Dauerprojekt!“ Am 7. April 2019 fährt er ans Festland zurück.
Aber am 1. Februar 2020 ist er schon wieder auf der Insel. Was für ein Wiedersehen mit dem Ranger und all den Insulanern, die er noch vom letzten Jahr her kennt! Und gleich geht es wieder los mit der Arbeit, diesmal jedoch unter höchst stürmischen Bedingungen: Eine Sturmflut nach der anderen zerrt an der Insel. Die Bojen reißen ab, Schilder stürzen um, Wege werden von Sand verschüttet, Dünen brechen ab, der Weg zwischen Flinthörnhütte und Strand ist überflutet. Über Mangel an Einsätzen kann Jürgen Dreckschmidt nicht klagen. An manchen Tagen aber ist ein Einsatz gar nicht möglich, wenn der Sturm so stark fegt, dass man sich kaum vorwärtsbewegen kann. In den ruhigeren Phasen dazwischen werden marode Zaunpfähle erneuert, die Infotafeln auf der Insel Stück für Stück gereinigt. Eine Aufräumaktion am Ostende zusammen mit dem Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) bringt Berge von Müll zusammen. Der Sturm hat ihn weit über das Ostende verteilt. Immer wieder ruft Jürgen Dreckschmidt Passanten aus den Dünen bei der Schutzhütte am Flinthörn. Sie versuchen den überfluteten Weg zu umgehen. „Geht aber nicht“, sagt der Ehrenamtler, und wieder erklärt er den Zusammenhang zwischen Naturschutz und dem Verbot, durch die Dünen zu laufen. Die Menschen nicken, zeigen sich einsichtig und drehen wieder um.
Jürgen Dreckschmidt nimmt auch an Koordinierungsgesprächen zwischen dem Ranger und den Mitarbeitern vom NLWKN teil. Hier geht es darum, wie man sich gegenseitig bei der Arbeit unterstützen kann. Schwere Seile und Netze oder große Müllstücke können nicht mit dem Ranger-Fahrrad transportiert werden. Dann helfen die Leute vom NLWKN mit Zugmaschinen und Anhängern. Durch Arbeitsgespräche und die Begleitung des Rangers lernt Jürgen Dreckschmidt zahlreiche Insulaner und Beschäftigte auf der Insel kennen. „Da bekommt man einen anderen Blick auf die Insel als nur aus Touristensicht. Die zwischenmenschlichen Begegnungen sind toll!“
Dennoch heißt es wieder Abschied nehmen. Diesmal zwei Wochen vor Ende der zweiten Ehrenamtsphase. Hotels, Gaststätten und Geschäfte werden geschlossen, der Fährverkehr wird reduziert, die Touristen sollen die Inseln verlassen. Schutzmaßnahmen gegen das Corona-Virus. Jürgen Dreckschmidt versteht die Maßnahmen und packt nach wiederum fast zwei Monaten Ehrenamt seine Sachen für die Heimreise. Sein Resümee: „Ehrenamt im Nationalpark Wattenmeer ist eine optimale Symbiose von Bewegung, sinnvoller Tätigkeit, Freizeit und gesunder Meeresluft!“ Für ihn ist klar: „In 2021 bin ich wieder mit dabei!“ Jochen Runar steht am Bahnhof der Inselbahn. Normal würde er seinen Ehrenamtler zum Abschied umarmen. „Das machen wir dann beim Wiedersehen“, sagt Jürgen Dreckschmidt. Die beiden Männer winken sich zu, bis der Zug am Horizont verschwunden ist.
Danke für diese Reportage an Marion Döbert, freiberufliche Journalistin