Gefördert aus Mitteln des Europäischen Meeres-und Fischereifonds (EMFF), Laufzeit: Januar 2019 – März 2023
© Martin Stock / LKN.SH
Niedersachsen
Miesmuscheln (Mytilus edulis) siedeln auf den Sedimenten des Wattenmeeres und bilden hier als Muschelbänke feste Strukturen aus, indem sie sich mit sogenannten „Byssusfäden“ verankern. An geeigneten Standorten im trockenfallenden Gezeitenbereich (Eulitoral) können diese Bänke eine hohe Stabilität erreichen und über viele Jahre bis Jahrzehnte Bestand haben. An weniger stabilen Orten bilden sich sporadisch oder wiederholt Jungbänke, die Extremereignissen wie Stürmen oder Eiswintern oft nicht standhalten und wieder abgetragen werden können. Durch ihr Vorkommen und ihre in den Bänken geballten Aktivitäten verändern die Miesmuscheln ihre Umwelt und die Lebensbedingungen für eine Vielzahl weiterer Tier- und Pflanzenarten, sie werden damit zu Ökosystemgestaltern („ecosystem engineers“). Miesmuschelbänke spielen eine wichtige Rolle im Nahrungshaushalt des Wattenmeeres und steigern die strukturelle Vielfalt im Watt und ebenso die Biodiversität:
Die Muscheln filtrieren ihre Nahrung aus der Wassersäule und lagern nährstoffreiches Material (Faeces und Pseudofaeces) in ihrer Umgebung ab. Auch durch die Herabsetzung der Strömungsgeschwindigkeit über den Muschelbeeten sedimentieren vermehrt Schwebstoffe, so dass hier eine gute Nahrungsgrundlage für substratfressende Ringelwürmer (Oligo- und Polychaeten) geschaffen wird. Als feste Struktur aus Muschelbeeten, Zwischenräumen und Gezeitentümpeln bieten Muschelbänke Siedlungssubstrat für festsitzende Arten (z.B. Aktinien, Hydrozoen) sowie Verstecke und Rückzugsgebiete für Fische (z.B. Sandgrundel) und Wirbellose (z.B. Strandkrabben) und insbesondere auch Jungtiere (z.B. von Scholle, Kliesche). Viele Wat- und Wasservögel finden in der Begleitfauna, die sich in den Muschelbänken einstellt, ein reiches Nahrungsangebot und die Miesmuscheln selbst dienen als Nahrung für Krebstiere und Vögel, v.a. für Austernfischer, Eiderenten und Silbermöwen.
Als traditionelle Nutzung ist die Miesmuschelfischerei im Gebiet des Nationalparks „Niedersächsisches Wattenmeer“ im Rahmen eines Bewirtschaftungsplans und unter Berücksichtigung der Natura-2000 Schutzziele erlaubt. Das Ziel ist, einerseits eine nachhaltige Nutzung der Miesmuschelbestände durch die Fischerei zu gewährleisten und diese andererseits mit der möglichst ungestörten Entwicklung der Muschelbänke und ihrer Lebensgemeinschaften in Einklang zu bringen. Der Bewirtschaftungsplan wird von der obersten Fischereibehörde gemeinsam mit der obersten Naturschutzbehörde erlassen und ist in regelmäßigen Abständen neu zu bewerten und fortzuschreiben.
Aufgabe des Projektes „Muschelbankmonitoring für eine nachhaltige Fischerei“ ist es, Daten und Kenntnisse zu liefern, die zur Bewertung des Miesmuschelbestandes benötigt werden.
Bereits seit 1999 wird die Bestandssituation der Miesmuschel im Eulitoral jährlich erfasst: Mithilfe von Luftbildaufnahmen werden Lage und Ausdehnung der Muschelbänke flächendeckend über das gesamte niedersächsische Watt kartiert, im Geographischen Informationssystem (GIS) dargestellt und berechnet. Geländeerhebungen an mindestens 22 repräsentativ verteilten Muschelbänken steuern Daten zur Biomasse, Altersstruktur und Anzahl der Individuen bei. Seit 2012 wird auch das Fleischgewicht in Relation zur Größe der Muscheln ermittelt, es gilt als Maß für die Kondition, den Ernährungszustand der Miesmuscheln. Dieses Muschelbankmonitoring wird im Rahmen des Projektes weiterhin jährlich durchgeführt. Zusätzlich werden Möglichkeiten geprüft, den Bereich der Fernerkundung weiterzuentwickeln und mögliche Muschelbestände des Sublitorals sowie die Bestandsentwicklung der Pazifischen Auster in das Monitoring einzubeziehen.
Die bei Niedrigwasser freifallenden Bereiche des Wattenmeeres werden inzwischen regelmäßig von satellitengetragenen Sensoren erfasst. Insbesondere die Sentinel Missionen der Europäischen Raumfahrtbehörde ESA werden durch ihre verbesserten Systemeigenschaften (räumliche und zeitliche Auflösung), freie Datenverfügbarkeit und gesicherte Datenkontinuität für ein verbessertes Umwelt-Monitoring interessant. Das Spektrum der verfügbaren Informationen fächert sich auf: Während die Sentinel-2 Satelliten multispektrale Daten aufnehmen, liefern die Sentinel-1 Satelliten Radardaten, die z.B. Oberflächenrauhigkeiten erfassen und unabhängig von Tageslicht und Wolkenbedeckung aufgenommen werden können. Im Vergleich mit den vom Flugzeug aus aufgenommenen Luftbildern ist allerdings die räumliche Auflösung dieser Daten deutlich geringer – es ist also zu prüfen, inwieweit mit Hilfe der Satellitendaten annähernd vergleichbare Aussagen über die Muschelbänke des niedersächsischen Wattenmeeres zu machen sind.
Grundsätzlich können Miesmuschelbänke auch im ständig wasserbedeckten (sublitoralen) Bereich des Wattenmeeres vorkommen (Reise & Buschbaum 2917). Aus dem schleswig-holsteinischen und dem niederländischen Sublitoral sind verschiedene relativ dauerhafte Bestände bekannt (Vorberg et al. 2017) und auch die Kulturflächen der niedersächsischen Muschelfischer liegen überwiegend unter Wasser.
Im Sublitoral des niedersächsischen Wattenmeers sind bislang keine Miesmuschelstandorte dokumentiert, sie sind mit der bisher verwendeten Monitoring-Methodik nicht erfassbar. Zwar ist bekannt, dass hier regelmäßig Brutfälle stattfinden, aber Kenntnisse zu möglichen Vorkommen stabiler sublitoraler Muschelbänke fehlen.
Eine flächendeckende Habitatkartierung des Sublitorals mit hydroakustischen Methoden wird seit 2014 von der Forschungsstelle Küste des NLWKN in Zusammenarbeit mit dem Geschäftsbereich III des NLWKN und der Nationalparkverwaltung durchgeführt, sie soll u.a. Erkenntnisse über die Detektion und das Vorhandensein sublitoraler Miesmuschelstandorte liefern. Ein weiterer Ansatz liegt in der Modellierung relevanter Umweltparameter (z.B. Strömungsgeschwindigkeiten, Wellenexposition, Sedimentverteilung, Wassertiefe etc.) um auf diese Weise potentiell geeignete stabile Muschel-Standorte im Sublitoral des niedersächsischen Wattenmeeres zu ermitteln.
Die Pazifische Auster hat sich seit ihrem ersten Auftreten in den späten 1990er Jahren über das gesamte Wattenmeer ausgebreitet und besiedelt heute v.a. auch die ehemals von Miesmuscheln gebildeten Bänke. Damit sind die Bestände der Pazifischen Auster und der Miesmuschel räumlich und über die Konkurrenz um Platz und Nahrung eng miteinander verbunden. Bis 2013 erreichte die Biomasse der Pazifischen Auster in den Muschelbänken nach Untersuchungen des Senckenberg Institutes eine Dominanz von 80% gegenüber 20% Miesmuschel-Biomasse (Folmer et al. 2017). Die Miesmuscheln siedeln nun überwiegend in den von den Pazifischen Austern gebildeten Zwischenräumen, was ihnen zumindest einen gewissen Schutz vor Fressfeinden bietet. Wie die weitere Bestandsentwicklung der Pazifischen Auster erfasst und dokumentiert werden kann, soll im Rahmen dieses Projektes „Muschelbankmonitoring für eine nachhaltige Fischerei“ ermittelt werden.
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