Niedersachsen

19.10.2021 |

Acht Monate mit Kreuzkröten und Steinschmätzern

Raus aus dem Labor, rein in die Natur: Der Biologe Rolf Schauder entschied sich für einen langfristigen ehrenamtlichen Einsatz für den Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer. Sein Erfahrungsbericht gibt Einblicke in seine vielfältigen, qualifizierten Tätigkeiten im Monitoring und Artenschutz auf Norderney.

Dünen! Dünen, wohin man schaut. Schroff, steil, hoch, unregelmäßig, sandig, meist nur locker bewachsen. Gar nicht gleichmäßig, wie diejenigen, die man aus Wüsten kennt. Direkt dahinter liegt der Nordseestrand, bei Niedrigwasser mehrere 100 m breit. In der anderen Richtung blickt man auf Salzwiesen. Das Watt kann man schon riechen. Im Hintergrund das Festland. Gut sichtbar, aber doch ganz weit weg.

Und ich mittendrin.

Ich sitze im östlichen Teil der Insel Norderney. Bis zum Inselende, dann mit Baltrum in Sicht, sind es noch ein paar Kilometer. Normalerweise braucht man für die Strecke zu Fuß (anders geht es nicht) keine Stunde mehr. Manchmal schaffe ich es aber nicht mehr, dorthin zu laufen. Dieser Inselteil ist so vielgestaltig und lebendig, dass ich immer wieder überrascht stehen bleibe, weil mir wieder irgend etwas aufgefallen ist. Ein Vogel der roten Liste, ein Sandlaufkäfer, eine Libelle, eine Garnele in einem Tümpel, ein Schmetterling, ein Süßwasserfisch im Brackwasser, Kaulquappen von Kreuzkröten… Oft stehe ich da und staune, beobachte diese Lebewesen, versuche, sie zu identifizieren und zu fotografieren.

Ich bin Biologe und arbeite für 8 Monate als ehrenamtlicher Mitarbeiter der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer auf der Insel Norderney. Hauptberuflich leite ich einen Bachelorstudiengang in Frankfurt / Main und bilde Biologielaboranten aus. Der Fokus dort liegt in der Entwicklung und Herstellung von Medikamenten. mRNA-Impfstoffe sind mir nicht unbekannt. Hier aber genieße ich die ganz besondere Natur des Weltnaturerbes. Diese Vielfalt an Lebensräumen auf engem Raum! So viele Vögel, die hier in Massen rumfliegen, und die im Rest Deutschlands ziemlich selten sind.

Kreuzkröten sind mein Hauptprojekt geworden. Um sie zu zählen, bin ich mehrfach nachts im Schein einer Taschenlampe durch die Dünen und Salzwiesen gegangen und ihren lauten Rufen gefolgt. Über 250 Individuen habe ich pro Nacht gefunden. In den Sommermonaten haben sich dann ihre Kaulquappen in den kleinen Brackwasserpfützen und -tümpeln entwickelt. Die halten ganz schön viel Salz aus, die Kleinen!

Wo es geht, unterstütze ich die hiesigen Ranger, z.B. bei der Suche nach den eigentlich seltenen Strandbrütern Zwergseeschwalbe und Sandregenpfeifer. Diese sind hier so häufig, dass sie schon „normal“ sind – viele Leute registrieren noch nicht einmal, dass sie hier brüten. Schutzzäune aufbauen und kontrollieren, Vögel zählen und fotografieren. Libellen und Käfer erfassen und bestimmen. Dass einige der vielen dabei entstandenen Bilder in der Öffentlichkeitsarbeit rund um den Nationalpark verwendet werden, freut mich natürlich.

Ich treffe hier zwei Ornithologinnen der Uni Oldenburg, die zwei Monate lang die Nester der Steinschmätzer in den verlassenen Kaninchenbauten zählen, später 300 dieser Vögel mit Sendern ausstatten und deren Zugverhalten auf ihrem Weg nach Zentralafrika beobachten werden. Ich treffe auch die jungen Freiwilligen, die hier auf der Insel über den Bundesfreiwilligendienst regelmäßig Vögel kartieren oder sich in ihrem Freiwilligen Ökologischen Jahr in der Öffentlichkeitsarbeit für den Nationalpark engagieren. Oder Besucher, die sich ebenfalls für die Insel und ihre Natur interessieren. Nur manchmal muss ich Hundebesitzer bitten, ihre Lieblinge an die Leine zu nehmen.

Hilfestellungen bekomme ich überall: Hintergründe zum Nationalpark, Ortskenntnis, Anregungen und Material kommen aus dem Rangerbüro und aus der Nationalparkverwaltung in Wilhelmshaven. Mit den mir unbekannten Garnelen und kleinen Fischen bekomme ich im Nationalpark-Infozentrum Wattwelten Hilfe bei der Bestimmung dieser Tiere. Dort kann ich auch ein kleines Labor benutzen. Ich habe Experten und alteingesessene Norderneyer kennen gelernt und viel von ihnen über die Insel und ihre Geschichte erfahren.

Und damit das Leben auf dieser Insel nicht nur aus Beobachtungsgängen in der Natur besteht, treffe ich mich mehrmals wöchentlich mit den hiesigen Spielern hinter dem Conversationshaus in der Stadt Norderney zu einigen Runden Boule.

Jetzt ist es September. Der Herbst zieht ein, die Sturmflutsaison hat offiziell begonnen. Vor mir liegt nun noch der zweite Vogelzug des Jahres, auf den ich mich schon sehr freue, bevor auch ich Ende Oktober wieder ein Stück weit in den Süden ziehe. Mal sehen, für wie lange.

Logo Ehrensache Natur