Niedersachsen

10.08.2022 |

Spektakulärer Orchideen-Fund auf Langeoog

Beim „Nationalpark-Tag der Artenvielfalt“ entdeckten 60 Expert:innen am vergangenen Samstag fast 600 Tier- und Pflanzenarten im Watt, am Strand, in den Dünen, Salzwiesen und anderen Lebensräumen der Insel Langeoog. Mehrere neue Entdeckungen und ein besonderer Überraschungsfund sorgten für Begeisterung, einige Ergebnisse aber auch für Besorgnis.

Nach der Begrüßung durch den Langeooger Tourismus-Chef Nils Jenssen und Nationalpark-Leiter Peter Südbeck schwärmten die teilnehmenden Arten-Fachleute in zehn Teams per Fahrrad über die Insel aus. Am Nachmittag wurden im Nationalpark-Partner-Hotel Bethanien die Ergebnisse zusammengetragen, überprüft und bekannt gegeben. Besonders gespannt war man auf Erstnachweise und Wiederfunde – also Arten, die zuvor noch nie auf Langeoog bzw. den Ostfriesischen Inseln entdeckt wurden bzw. dort seit längerem als verschollen galten. Für die überwiegend ehrenamtlich teilnehmenden Expert:innen aus ganz Niedersachsen und darüber hinaus sind solche Funde besonders motivierend, jedes Jahr die Anreise auf sich zu nehmen. Den „Knaller“ lieferte diesmal ganz zum Schluss die Gefäßpflanzen-Gruppe um Dr. Annemarie Schacherer: In einem feuchten Dünental wurden mehrere Exemplare des Sumpf-Glanzkrauts (Liparis loeselii) entdeckt. Diese unscheinbare, sehr seltene Orchidee wächst deutschlandweit nur an wenigen Standorten. Bislang galt Borkum als ihr letztes Refugium in ganz Niedersachsen – nun kommt Langeoog als „Verstärkung“ hinzu.

Insgesamt konnten die beiden Gefäßpflanzen-Teams mit 141 Arten aufwarten. Das besagte Dünental erfreute die Forscher:innen mit weiteren botanischen Kostbarkeiten wie dem Zwerg-Lein (Radiola linoides), dem Acker-Kleinling (Anagallis minima), dem Knotigen Mastkraut (Sagina nodosa) und – ebenfalls ein Erstnachweis für Langeoog – der Küsten-Strandkamille (Tripleurospermum maritimum).

Küsten-Strandkamille (Tripleurospermum maritimum)
Küsten-Strandkamille (Tripleurospermum maritimum)

© Imke Zwoch

Nicht alle lieben trockenes Sommerwetter

Beim Tag der Artenvielfalt auf Langeoog 2012 wurden über 600 Arten entdeckt, diesmal waren es 570 – Stand Samstag Abend. Erfahrungsgemäß werden noch einige Arten hinzukommen, die sich erst nachträglich per Mikroskop sicher bestimmen lassen.

Das für arten- und auch erholungssuchende Menschen angenehm warme und trockene Sommerwetter ist für Schnecken, Amphibien oder Pilze eher „gruselig“, so Pilz-Experte Jörg Albers. So fand sein Team nur 30 Arten, darunter wenige Hutpilze wie den Wiesenchampignon (Rote-Liste-Art), aber auch Besonderheiten wie den Hexenbesen auf Blättern der Spätblühenden Traubenkirsche oder Mutterkorn an Reitgras (Calamagrostis).

Das Landschnecken-Team um Walter Wimmer musste sich dementsprechend mit 19 Arten zufrieden geben. Trotzdem stieg der Gute-Laune-Pegel, als auf Anhieb die Schmale Windelschnecke (Vertigo angustior) gefunden wurde, die laut FFH-Richtlinie höchste Priorität für Erhaltungs- und Entwicklungsmaßnahmen genießt.

Amphibien-Experte Richard Podloucky musste intensiv nach Kleingewässern suchen, die noch nicht ausgetrocknet waren. Am Ende konnte er jedoch alle drei auf der Insel erwartbaren Arten, nämlich Kreuzkröte, Teichmolch und Grasfrosch, notieren.

Flechten reagieren auf Trockenheit weniger empfindlich, anfälliger sind sie gegen Luftverschmutzung und Eutrophierung. Die Ostfriesischen Inseln bieten ihnen in dieser Hinsicht bessere Bedingungen als Festlandsstandorte. 246 Arten sind auf den Inseln nachgewiesen, das Team von Willem Linders fand an diesem Tag etwa 60. Flechten wachsen auf allen möglichen Substraten, deshalb gehörten auch Deckwerk, Hausmauern und Wald zum Untersuchungsgebiet. Das Team freute sich über 5 Erstnachweise für Langeoog, 4 wärmeliebende Arten sind als Indikator für den Klimawandel einzustufen.

 

Flechten-Kartierung an Bäumen auf Langeoog
Flechten-Kartierung auf Langeoog

© Onno K. Gent

Eine größere Gruppe machte sich auf ins Watt und an den Hafen und fand 60 Meerestier- und Algenarten vor. Erstmals war Prof. Karsten Reise mit dabei, ein Urgestein der Wattenmeer-Forschung und ein wandelndes Lexikon der Artenvielfalt vor unseren Küsten. Er berichtete über Verschiebungen im Artenspektrum, die vor allem durch den globalisierten Schiffsverkehr entstehen und auch an diesem Tag sichtbar wurden. So wurde neben dem im Wattenmeer verbreiteten Schlick-Krebs Corophium volutator vor allem ein „globalisierter Verwandter“ aus dieser Gattung gefunden, des Weiteren der aus Nordamerika stammende Langarm-Einsiedlerkrebs (Pagurus longicarpus) sowie aus Übersee stammende Manteltiere (Urochordata). Insgesamt sind in den letzten hundert Jahren bislang 140 Arten aus Übersee ins Wattenmeer eingewandert – für Prof. Reise kein Grund zur Panik, denn bisher ist nicht nachgewiesen, dass dadurch Arten verdrängt werden, die schon vorher hier heimisch waren.

Jens Kleinekuhle war sehr zufrieden mit 12 entdeckten Heuschrecken-Arten, darunter die Gemeine Sichelschrecke (Phaneroptera falcata) und die Westliche Dornschrecke. Besorgt zeigte er sich hingegen angesichts der nur 11 gefundenen Tag- und Nachtfalter- Arten – vor zehn Jahren waren es immerhin 27. Insgesamt gelten die Ostfriesischen Inseln als „Hot Spot“ für Falter, mehrere hundert Arten wurden hier schon nachgewiesen. Dieser Artengruppe kommt warmes, trockenes Wetter eher entgegen, die bescheidene Fundzahl muss also andere Ursachen haben.

Aus der auf den Inseln überschaubaren Gruppe der Säugetiere wurden Bisam, Reh, Feldhase und Seehund notiert.

Das Fachgebiet von Dr. Rolf Niedringhaus (Universität Oldenburg) sind Zikaden (an diesem Tag gefunden: 30 Arten) und Wanzen (40). Zusammen mit weiteren Wissenschaftler:innen  veröffentlichte er 2008 „Die Flora und Fauna der Ostfriesischen Inseln“. Dieses Grundlagenwerk verzeichnet über 10.000 Arten und ist auch online verfügbar.

Auffällig im Bereich der Wildbienen war, dass die Expert:innengruppe um Dr. Benedikt Wiggering ausschließlich 8 Wildbienenarten vorfanden – davon 7 Hummelarten. Andere Wildbienen neben den Hummeln waren nicht in gleicher Weise aktiv. Jedoch ist der Fund von gleich drei stark gefährdeten Hummelarten (Sand-, Moos- und Deichhummel) innerhalb desselben Dünenzuges äußerst positiv hervor zu heben. Darüber hinaus wurden von dem Team 20 Spinnen- und zahlreiche Käferarten vorgefunden, die noch eine genauere Identifikation durch Experten benötigen. Hervorzuheben ist der Fund eines Küsten-Sandlaufkäfers (Cicindela maritima), eine Art, für die der Nationalpark eine besondere Verantwortung trägt.

Sandraubfliege Philonicus albiceps
Sandraubfliege (Philonicus albiceps) am Flinthörn

© Imke Zwoch

Die Vogel-Expert:innen schließlich konnten 93 Arten auf ihrer Liste notieren. Überschattet wurde der spannende Tag von Totfunden, berichtete Dr. Rune Michaelis. Insbesondere enge Koloniebrüter wie Brand- und Flussseeschwalben fallen der seit Wochen grassierenden Vogelgrippe zum Opfer. Betroffen sind zudem Hochseevögel wie Basstölpel, die vereinzelt auf den Ostfriesischen Inseln gefunden werden, auch an diesem Tag auf Langeoog.

Trotz dieser unerfreulichen Beobachtungen und einiger nachdenklich stimmenden Ergebnisse war es für die Beteiligten, von denen einige von Beginn an dabei sind, ein erfreulicher und motivierender Nationalpark-Tag der Artenvielfalt. Auch Inselbürgermeisterin Heike Horn ließ sich davon anstecken. Sie zeigte sich stolz auf die Artenvielfalt auf ihrer Insel und lobte die grundsätzlich gute Zusammenarbeit mit der Nationalparkverwaltung. Peter Südbeck dankte allen Beteiligten, die ihre Expertise eingebracht hatten, und dem Langeooger Nationalpark-Ranger Jochen Runar, Inselbetreuer Jürn Bunje und Dr. Benedikt Wiggering darüber hinaus für die gelungene logistische Organisation dieses mittlerweile 16. Tags der Artenvielfalt im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer. „Unsere jährliche Aktion soll nicht nur die Biodiversität im Weltnaturerbe vor unserer Haustür ins Licht rücken, wir möchten damit auch wissenschaftlichen Nachwuchs begeistern. Bei vielen Artengruppen herrscht Mangel an Expert:innen, die wir angesichts der durch den Klimawandel und die Biodiversitätskrise bedingten ökologischen Umwälzungen mehr denn je brauchen.“

Teilnehmende beim Nationalpark-Tag der Artenvielfalt auf Langeoog 2022
Teilnehmende beim Nationalpark-Tag der Artenvielfalt auf Langeoog 2022

© NLPV

Hintergrund: Tag der Artenvielfalt

1999 wurde der „GEO-Tag der Artenvielfalt“ vom Wissenschaftsmagazin GEO ins Leben gerufen. Für die Teilnehmenden gilt es, an diesem jährlich stattfindenden Aktionstag innerhalb von 24 Stunden in einem begrenzten Gebiet möglichst viele verschiedene Pflanzen und Tiere zu entdecken. Ziel ist, Bewusstsein zu wecken für die Biodiversität vor unserer Haustür. Der Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer war erstmals 2006 und dann seit 2008 jedes Jahr dabei. Zum Team gehören, neben Mitarbeitenden der Nationalparkverwaltung, haupt- und ehrenamtliche Arten-Fachleute aus anderen Behörden, aus Universitäten und Forschungseinrichtungen, Planungsbüros und Umweltverbänden. Jedes Jahr wird alternierend eine andere Ostfriesische Insel unter die Lupe genommen oder ein fest abzugrenzender Küstenabschnitt.