Niedersachsen

05.07.2023 |

Trotz „Schietwetter“ viel entdeckt

Zum 17. Tag der Artenvielfalt im Nationalpark Wattenmeer konnten Artenkenner*innen auf Borkum 659 Arten in nur wenigen Stunden nachweisen.

Wen locken schon die Schmale Windelschnecke (Vertigo angustior), die Dünenspornzikade (Kelisia sabulicola) oder das Schwarze Kopfried (Schoenus nigricans – ein Sauergras) hinter dem Ofen hervor? Für 66 Artenkenner*innen aus ganz Niedersachsen waren solche Seltenheiten unseres Nationalparks Grund genug, zum Tag der Artenvielfalt am 1. Juli nach Borkum zu reisen. Tatsächlich konnten sie sich dort über den Fund dieser und vieler weiterer besonderer Arten freuen. Doch leider spielte das Wetter nicht so mit wie gewünscht, sodass nicht nur seltene Tiere und Pflanzen, sondern auch tropfnasse Expert*innen im Gelände angetroffen werden konnten.

Bereits seit 2006 lädt die Nationalparkverwaltung alljährlich zum „Tag der Artenvielfalt“ artenkundige Expert*innen ein, in jährlich wechselnden Teilgebieten des Nationalparks gemeinschaftlich eine Kartierung der Flora und Fauna vorzunehmen. Die gemeinsame Bestandsaufnahme fördert den Austausch zwischen den Fachleuten und gibt der Arbeit der Nationalparkverwaltung neue Impulse. Vor allem aber belegt diese Aktion jedes Jahr, dass der Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer ein Hotspot der Biodiversität ist. Fast jedes Mal wird mindestens eine Art entdeckt, die zuvor noch nie im Nationalpark bzw. im kartierten Teilgebiet nachgewiesen wurde. Die Biologische Vielfalt ist auch ein Kriterium, das ausschlaggebend für die Anerkennung als Weltnaturerbe (2009) war.

2014 fand die Veranstaltung erstmals auf Borkum statt. Damals wurden insgesamt 649 Arten nachgewiesen.

Da die Fahrt nach Borkum viel Zeit beansprucht, reisten die Teilnehmer*innen bereits am Vortag an. Dort wurden sie von Jürgen Akkermann (Bürgermeister Stadt Borkum) und Bernd Oltmanns (stellvertretender Leiter der Nationalparkverwaltung) begrüßt und bildeten dann Exkursionsgruppen für den nächsten Tag. Zum Ausklang des Abends konnten die Teilnehmer*innen an einer Abendführung durch die Ausstellung des Nationalpark-Schiff Feuerschiff BORKUMRIFF teilnehmen. Bei Nachtexkursionen wurden bereits erste Highlights gesichtet: die Schmale Windelschnecke (2mm klein), die im Anhang II der FFH-Richtlinie geführt wird (Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse, für deren Erhaltung besondere Schutzgebiete ausgewiesen werden müssen); eine Gryllteiste (Cepphus grylle – eine bei uns sehr seltene auftretende Alkenvogelart) und eine Rauhautfledermaus (Pipistrellus nathusii).

Teilnehmende des Tags der Artenvielfalt auf Borkum 2023
Teilnehmende des Tags der Artenvielfalt auf Borkum 2023

© Michael Räder / NLPV

Weichtier-Expert*innen im Einsatz
Weichtieren auf der Spur

© André Apel

Käferexperten bei der Arbeit
Käferexperten bei der Arbeit

© Iris Woltmann

Am nächsten Morgen startete dann die Hauptaktion der Veranstaltung – bei grauverhangenem Himmel mit zeitweisem Starkregen bis 11:30 Uhr. Je nach betrachteter Artengruppe fielen die Fundzahlen entsprechend mager aus. So wurden nur 15 weitere Land- und Süßwasserschneckenarten, 11 Schmetterlinge, 6 Hautflügler (Bienen & Wespen), eine Libellenart und 5 Heuschreckenarten entdeckt. Bei Letzteren gelang der Nachweis eines Exemplars der Südlichen Eichenschrecke (Meconema meridionale) – einer Art, die in den letzten 50 Jahren ihren Verbreitungsraum aus dem Mittelmehr bis nach Norddeutschland verlagert hat. Zwar wurde sie schon im letzten Jahr auf Borkum nachgewiesen, der erneute Wiederfund bestätigt jedoch die Etablierung dieser Art. Auch Fliegen (mit ca. 35 Arten) und Spinnen (mit nur 5 Arten) wurden in erheblich geringerem Maße als erwartet nachgewiesen. Mit vermutlich 150 Arten (oft kann eine belastbare Artbestimmung nur nach intensiver Betrachtung unter dem Binokular festgestellt werden) waren die Funde von Käferarten erwartungsgemäß hoch, wenn auch hier eine erschwerte Beobachtung sicherlich die mögliche Fundmenge negativ beeinflusste.

Für das Wetter passend konnten alle drei für die Insel bekannten Amphibienarten nachgewiesen werden. Im Besonderen ist die für die Ostfriesischen Inseln typische, jedoch am Festland stark bedrohte Kreuzkröte (Epidalea calamita) mit einem starken Bestand hervorzuheben. Überraschend hoch hingegen waren die Nachweise an Vögeln. Ein Vorteil war, dass mehrere vogelkundliche Teams am Start waren und stolze 99 Arten entdeckten.

Die Pilzexperten überraschte der Fund eines voll entwickelten Fruchtkörpers des Ziegelroten Täublings (Russula velenovskyi), der gewöhnlich die in den zwei Wochen vor der Veranstaltung herrschende Trockenheit nicht hätte überstehen dürfen. Mit 34 weiteren Arten bewegten sich die Pilze auf einer im Hochsommer eher unerwarteten Artenfülle.

Kreuzkröte (Bufo calamita)
Kreuzkröte (Bufo calamita)

© Iris Woltmann

Strandwinde (Calystegia soldanella)
Strandwinde (Calystegia soldanella)

© Michael Räder / NLPV

Zu guter Letzt waren es wohl die Botaniker*innen, die dem schlechten Wetter, nass bis auf die Knochen, aber voll motiviert und gut gelaunt, am tapfersten trotzten, bis sie mehr als 150 Arten gefunden hatten. So konnten große Bestände der Strandwinde (Calystegia soldanella) und – für Borkum ein Ausnahmefund! – eine Stranddistel (Eryngium maritimum) festgestellt werden. Auch das niedersachsenweit nur auf Borkum in hohen Beständen vorkommende Sumpf-Glanzkraut (Liparis löselii) ließ die Herzen der Pflanzenkundigen höherschlagen.

Bei der Abschlussbesprechung wurde auch das letzte Hemd wieder trocken und die Gesamtartenzahl für den Tag konnte mit 659 (unter Berücksichtigung einiger sonntäglicher Nachmeldungen von Zikaden- und Wanzen- Expert*innen) festgestellt werden. Betrachtet man die widrigen Bedingungen, so ist dies eine stattliche Zahl – immerhin 10 Arten mehr, als 2014 bei deutlich besserem Wetter notiert wurden. Und auch wenn triefend und frierend der Spaß etwas getrübt ist, so waren die Expert*innen – denen an dieser Stelle unser Dank für die ehrenamtliche Mithilfe gilt – am Ende des Tages rechtschaffen müde und zufrieden.

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