Schleswig-Holstein

15.02.2022 |

Brachvögel verstehen und erleben

„Aus dem Leben von Brachvogel & Co.“ lautet der Titel einer der beiden vogelkundlichen Führungen, die die Nationalparkverwaltung im Februar anlässlich des Nationalpark-Themenjahrs „Vogelzug im Wattenmeer – Zwölf Monate gefiederte Vielfalt“ anbietet.

Der Große Brachvogel gehört zu den größten und mit seinem langgebogenen Schnabel auch zu den markantesten Vögeln im Nationalpark Wattenmeer. Etwa 40% der europäischen Population lebt im Küstenbereich der Nordsee von den Niederlanden bis nach Dänemark. Zwischen April und Mai verlassen die Tiere das Wattenmeer und ziehen für etwa drei Monate in die Brutgebiete, um ihren Nachwuchs aufzuziehen.

Wo genau sich die Brutplätze der Brachvögel des Wattenmeeres befinden war bis vor wenigen Jahren noch ein Mysterium. Ebenso wenig war über ihr Zugverhalten, ihre Flugrouten und mögliche Probleme während ihres Zuges bekannt. Seit acht Jahren forscht Dr. Philipp Schwemmer vom Forschungs- und Technologiezentrum Westküste der Universität Kiel in Büsum zu diesen spannenden Fragen rund um den Brachvogel. Mit seiner Arbeitsgruppe Tierökologie, Naturschutz und Wissenschaftskommunikation stattete er Tiere mit sogenannten GPS-Datenloggern, kleinen Hightech-Sendern, aus. „Durch die Wiederfunde von beringten Brachvögeln konnten wir früher nur mutmaßen, dass es die Tiere zum Brüten vermutlich nach Skandinavien zieht“, berichtet Studienleiter Schwemmer. „Unklar war jedoch, ob das auf die Mehrheit der Vögel zutrifft oder nur für einzelne Tiere“.

Die Studie der Büsumer Forschungsgruppe begann 2014 mit dem Fang von fünf Brachvögeln auf der Hamburger Hallig und hat seitdem interessante Erkenntnisse hervorgebracht. Alle Brachvögel starteten im April und Mai auf ihren Zug und überquerten die Ostsee, um mit einzelnen Zwischenstopps in ihre Brutgebiete, nicht wie angenommen nach Skandinavien sondern in den Westen Russlands zu fliegen.

Bis heute konnten fast 30 Brachvögel mit GPS-Datenloggern ausgerüstet werden und das am Anfang gewonnene Bild verfestigen: Alle Tiere zogen über den Ostseeraum und erreichten nach etwa zehn Tagen ihr Brutgebiet. Dabei legten sie im Schnitt knapp sechs Zwischenstopps ein und eine mittlere Distanz von etwa 2.500 Kilometern zurück. Spitzenreiter war ein Vogel, der von der Elbmündung knapp 4.500 Kilometer in sein Brutgebiet östlich des Uralgebirges flog.

Das Datum, an dem die Brachvögel auf ihren Zug starteten war in jedem Jahr gleich und schwankte nur um etwa drei Tage. Durch die pünktliche Ankunft in ihren Brutgebieten kann die Vogelart das relativ enge Zeitfenster guter Nahrungsverfügbarkeit von Insekten und anderen wirbellosen Tieren nach der Schneeschmelze in Westrussland optimal nutzen. Dies ist ein eindrucksvolles Beispiel für die Existenz einer inneren Uhr, die durch die Genetik der Vögel gesteuert wird und unabhängig von äußeren Wind- und Wetterbedingungen funktioniert. Die Studienergebnisse zeigen darüber hinaus, wie wichtig die weitläufigen, noch weitestgehend ungestörten Gebiete Russlands für die Brachvögel des Wattenmeeres sind.

Jetzt im Februar halten sich die eleganten Vögel an der Westküste Schleswig-Holsteins, einem weiteren für sie unverzichtbaren Lebensraum, auf. Ihre melodischen Rufe sind über die Wattflächen weithin zu hören. Hier ernähren sich die Tiere hauptsächlich von Würmern und Strandkrabben, die sie bei Niedrigwasser auf den freigefallenen Wattflächen finden.

Die Nationalpark-Ranger Martin Kühn und Rainer Rehm laden am Sonntag, den 20. Februar um 13:30 Uhr zu einem geführten Besuch bei den Brachvögeln auf der Hamburger Hallig ein und werden dabei auch von den Forschungsergebnissen von Philipp Schwemmer berichten. Eine Woche später, am 27. Februar folgt eine weitere vogelkundliche Führung, bei der den „Majestäten der Lüfte ins Auge geschaut“ wird: Es geht zu den Seeadlern ins deutsch-dänische Grenzgebiet. Für beide Touren ist eine Anmeldung per E-Mail an erforderlich. Weitere Informationen sind unter www.nationalpark-wattenmeer.de/sh/themenjahr zu finden.